Was Sucht für Angehörige bedeutet | Terra-X-Kolumne
Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:Was Sucht für Angehörige bedeutet
von Johannes Lindenmeyer
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Unter einer Suchterkrankung leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen. Während Betroffene behandelt werden, fühlen sich Angehörige oftmals alleingelassen.
Suchterkrankungen entwickeln sich in der Regel schleichend im Verlauf mehrerer Jahre. Anfangs bemerken Angehörige das Suchtproblem überhaupt nicht, sondern sind verwundert, warum Betroffene so wechselhaft sind: mal einfühlsam, belastbar und zuverlässig, dann aber immer wieder auch unzuverlässig, unbeherrscht und rücksichtslos. Irgendwann wird klar, dass hier eine Substanz im Spiel ist, zu der Suchtbetroffene eine größere Bindung entwickelt haben als zu ihren Angehörigen.
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Beziehungen mit Suchterkrankten
An oberster Stelle steht für die Betroffenen die Befriedigung ihrer Sucht - ungeachtet des Leids und der Apelle ihrer Angehörigen. Dieses Zurücksetzen sowie das wechselhafte Verhalten hat Auswirkungen auf die Beziehung. Angehörige können sich massiv verunsichert fühlen und an ihrem eigenen Selbstverständnis zweifeln.
Emotional werden sie immer stärker zwischen Schuldgefühlen beziehungsweise Scham wegen des Suchtverhaltens der Betroffenen, Mitgefühl für deren Leid, aber auch Wut oder Verachtung gegenüber den Betroffenen hin- und hergerissen. Eine besondere Dramatik entsteht, wenn Kinder involviert sind. Sie geraten in eine altersinadäquate Versorgungs- und Helferposition, die sie massiv überfordert.
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Auch Angehörige verändern ihr Verhalten
Angehörige versuchen in der Regel zunächst alles, um jeden Konsumanlass der Betroffen aus dem Weg zu räumen: Sie versuchen, ihre Wünsche zu erfüllen, Konflikte zu vermeiden, sie zu entlasten und zufrieden zu stellen - in der Hoffnung, dass sie dann nicht mehr zum Suchtmittel greifen. Gleichzeitig sind sie aus Furcht vor negativen Konsequenzen bemüht, dass die Suchtproblematik nicht nach außen dringt.
Dadurch werden aber ihre Beziehungen zu anderen Menschen beschädigt beziehungsweise verringert, weil sie sich von diesen zurückziehen, die Familie abschotten oder sich in immer schwerer aufrechtzuerhaltende Lügen und Ausreden verwickeln. Schließlich fürchten sie (leider nicht ganz zu Unrecht) auch die Ablehnung oder Kritik ihres Umfeldes, mitverantwortlich für die Suchtentwicklung gemacht zu werden.
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Wie Angehörige helfen können
Die gute Nachricht: Suchterkrankungen haben bei aller Grausamkeit insgesamt eine eher gute Prognose. In den meisten Fällen können sie irgendwann erfolgreich überwunden werden. Dann geht auch die Belastung der Angehörigen wieder auf ein Normalmaß zurück. Und schließlich, so belastend eine Suchterkrankung für Angehörige auch ist, die Mehrheit findet einen Weg, damit fertig zu werden.
Das Wichtigste für Angehörige ist, zunächst für sich selbst sorgen. Denn nur wenn sie selbst stabil und sicher sind, können sie den Betroffenen helfen. Sie sollten ihre Situation offen mit anderen besprechen, um Unterstützung, Entlastung und Ermutigung zu erhalten. Angehörige können außerdem einen Anstoß geben, dass Betroffene eine Behandlung beginnen.
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Hier empfiehlt es sich, nichts vorschnell allein zu unternehmen, sondern gemeinsam mit bedeutsamen Personen dem Betroffenen zu erklären, wie besorgt sie sind und eine Behandlung für erforderlich halten. Andernfalls könnte ihre Beziehung zerstört und der Kontakt verloren gehen. Sobald die Betroffenen in Behandlung sind, können Angehörige durch eine Aussprache über die Vergangenheit und Absprachen zur Rückfallprävention einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Behandlung leisten.
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... ist Professor für Klinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Er ist seit über 40 Jahren in der Behandlung von Abhängigkeitskranken und ihren Angehörigen tätig. Als Autor beschäftigt er sich in seinen Büchern und wissenschaftlichen Studien mit dem Thema Sucht. Seine Arbeitsgruppe forscht über computerbasierte Möglichkeiten der Rückfallprävention in der Suchtbehandlung.
... ist unter der Telefonnummer 01806 313031 zu erreichen. Sie bietet telefonische Beratung, Hilfe und Informationen durch erfahrene Fachleute aus der Drogen- und Suchthilfe. An die Hotline können sich sowohl Menschen mit Suchtproblemen als auch deren Angehörige, Freunde oder Kollegen wenden. Das Angebot ist kostenpflichtig: 0,20 Euro pro Anruf aus dem deutschen Festnetz und aus dem Mobilfunknetz.
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