Managergehälter: Kein Neid, sondern gefühlte Ungerechtigkeit

    Interview

    Unterschiede beim Einkommen:Ungerechtigkeiten bringen "viel Verbitterung"

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    Die Einkommen von Managern und Mitarbeitenden haben sich 2022 ein Stück weit angenähert. Ein Trend zu weniger Lohnungleichheit sei das aber nicht, sagt Soziologe Michael Hartmann.

    ZDFheute: Im Jahresvergleich sind die Managergehälter 2022 laut einer neuen Studie rückläufig gewesen. Vor allem sind die variablen Vergütungen, die vom Erfolg des Unternehmens abhängen, geschrumpft. Erste Anzeichen, dass der Standort Deutschland unter Druck geraten ist?
    Michael Hartmann: Nein, das schlägt sich nicht in diesen Zahlen nieder. Die Dax-Konzerne sind multinational aufgestellt und nicht repräsentativ für den Standort Deutschland.
    Repräsentativ wären beispielsweise mittelständische Autozulieferer, deren Geschäftsmodell durch die Umstellung vom Verbrenner- auf den Elektromotor in Frage steht. Einzelnen Dax-Konzernen wie BASF oder Vonovia machen allerdings die Energiekosten oder die Zinserhöhungen der EZB zu schaffen.
    ZDFheute: Die Macher der Studie warnen: Vor dem Hintergrund der hohen Managergehälter im Ausland müsse Deutschland aufpassen, im Wettbewerb um die besten Köpfe mitzuhalten.
    Hartmann: Dieses Argument dient seit Jahren als Rechtfertigung für steigende Managergehälter, dabei ist das pure Theorie. Weltweit gibt es keinen harten Wettbewerb um internationale Spitzenmanager. Das war schon früher so und der Anteil ausländischer Topmanager ist in den letzten Jahren sogar rückläufig, auch hierzulande. Und jetzt kommt als neue Entwicklung noch die Deglobalisierung hinzu.

    Der Soziologe Michael Hartmann vor einem Bücherregal.
    Quelle: ZDF

    ...ist Deutschlands renommiertester Elitenforscher. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigt er sich wissenschaftlich mit internationalen wirtschaftlichen Machtstrukturen, der Kluft zwischen Arm und Reich und dem Anwachsen des Rechtspopulismus. 

    Das bedeutet, dass in Managemententscheidungen immer mehr politische Faktoren miteinfließen. Die Rolle des Staates nimmt zu. Nehmen wir als Beispiel die Pleite der Credit Suisse: Sie ist nur deshalb von der UBS übernommen worden, weil die Schweiz so viele staatliche Garantien ausgesprochen hat. Deshalb wurde der niederländische CEO bei der UBS auch durch einen Schweizer ersetzt. Für große Konzerne wird es heutzutage immer wichtiger, in Spitzenpositionen Leute sitzen zu haben, die einen kurzen Draht zur Politik haben und sich gut im Land auskennen.
    ZDFheute: Managergehälter stehen in Deutschland immer wieder in der Kritik. Manche sprechen deshalb von Neidkultur. Was halten Sie davon?
    Hartmann: Das ist kein Neid, sondern das Gefühl von Ungerechtigkeit. Es gibt viele Instinktlosigkeiten in deutschen Führungsetagen. Nehmen wir das Beispiel RBB: Prämien und üppige Pensionen unter den Führungskräften, gleichzeitig Sparkurs unter den Angestellten. Das hat viel Verbitterung ausgelöst.
    Einkommensunterschiede schlagen sich sehr im Gerechtigkeitsempfinden der Menschen nieder, aber die Vermögensunterschiede sind noch viel gravierender. Sie bleiben allerdings zumeist unter dem Radar. Klaus Michael Kühne beispielsweise, der zweitreichste Deutsche, hält 30 Prozent an Hapag Lloyd und verdiente zuletzt allein durch die Dividendenausschüttung das 1.300-fache wie der Vorstandschef des Unternehmens. Vermögen heißt außerdem Macht, und wer Macht hat, kann auf vielerlei Weise seinen Einfluss spielen lassen.
    ZDFheute: Schauen wir auf die unteren Einkommensgruppen: Wirkt der gesetzliche Mindestlohn einer zu hohen Einkommensungleichheit entgegen?
    Hartmann: Der Mindestlohn wird pro Stunde bezahlt - und das ist seine Schwachstelle. Studien belegen, dass vor allem für Beschäftigte in Minijobs oder in Teilzeit der Mindestlohn mit einem Rückgang der Arbeitsstunden einhergeht. Das Arbeitspensum bleibt aber gleich. Das heißt, unterm Strich bleibt trotz Mindestlohn nicht mehr übrig. Außerdem gibt es zu wenige Kontrollen, ob der Mindestlohn überhaupt eingehalten wird, besonders auf den großen Baustellen mit vielen Subunternehmen.
    ZDFheute: Wie geht die Entwicklung Ihrer Einschätzung nach weiter?
    Hartmann: Die Inflation wird hoch bleiben und sie trifft die unteren Einkommensschichten viel härter als die oberen. Zudem hat es in diesem Jahr in vielen Betrieben mit Tarifbindung Einmalzahlungen als Inflationsausgleich gegeben. Diese Einmalzahlungen wird es im kommenden Jahr nicht mehr geben. Von daher gehe ich davon aus, dass sich die Einkommensunterschiede eher verstärken.
    Das Interview führte Eva Schmidt

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