Vor der Kabinettsklausur:Wirtschaft fordert Aufbruchstimmung
von Frank Bethmann
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Die Bundesregierung arbeitet an einer neuen Wirtschaftsagenda - die Industrie macht Druck und will Reformen. Ein staatlich subventionierter Industriestrompreis bleibt umstritten.
20 Jahre lief vieles gut. 20 Jahre hat die Globalisierung deutsche Unternehmen von einem Wachstumserfolg zum nächsten getragen. Doch das war einmal.
Sorgen bereiten dabei nicht die globalen Umstände. Sorgen bereiten vielmehr Deutschlands individuelle Schwächen: die langen Genehmigungsverfahren, der akute Fachkräftemangel und die hohen Energiekosten. Eine Liste, die sich fortführen ließe, man denke nur an den Digitalisierungsrückstand in den Verwaltungen und andernorts.
Industrie fordert Aufbruchssignal von Bundesregierung
Und so hat es Deutschland nach über 20 Jahren, nach Jahren, in denen man sich zu sehr auf dem Erreichten ausgeruht hat, wieder auf die Titelseite des "Economist" geschafft. Der fragt, ob Deutschland wie zu Beginn der 2000er-Jahre erneut der kranke Mann Europas sei - zu sehen ein Ampelmännchen am Tropf.
Auch wenn einige Ökonomen mit Blick auf die gesunden öffentlichen Finanzen und einer Beschäftigung auf Rekordniveau dies für übertrieben halten, sind führende deutsche Wirtschaftsforscher und Verbandspräsidenten nun in die Offensive gegangen.
Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, sagte dem Handelsblatt:
Stephanie Barrett berichtet von der Börse über die Erwartungen der Unternehmen:
Wirtschaft mit eigener Reformagenda
Tatsächlich will die Bundesregierung auf ihrer Kabinettsklausur an einer neuen Wirtschaftsagenda arbeiten. Themen, die dabei auf den Tisch kommen sollen: "KI als Zukunftstechnologie", "Verbesserungen der Verwaltungsdigitalisierung" und nicht zuletzt "Impulse für Wirtschaft und Wachstum".
Doch Ökonomen wie der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hätten es gerne konkreter. Sein arbeitgebernahes Haus wartet mit einem regelrechten Reform-Feuerwerk auf. Im Mittelpunkt dabei Investitionsprämien für Unternehmen, eine Ausweitung der Abschreibungsmöglichkeiten, eine verbesserte steuerliche Forschungsförderung und die Abschaffung oder Senkung der Stromsteuern.
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Strompreis für Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung
Einen subventionierten Industriestrom, in dem Fall einer, der an den Börsenstrompreis gekoppelt sein sollte, fordert Hüther zudem. Auch Jens Südekum, Professor an der Universität Düsseldorf und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, spricht sich für eine solche Förderung aus.
Der Strompreis sei für Investitionsentscheidungen zentral. Wenn sich die Unternehmen darauf verlassen könnten, dass er nicht über sechs Cent gehe, dann würden sie ihre Investition auch in Deutschland tätigen.
Hintergrund der Debatte: Große Teile der heimischen Industrie denken darüber nach, ihre energieintensive Produktion ins Ausland zu verlagern. Ein niedriger Strompreis soll sie davon abhalten.
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Staatlicher Industriestrompreis in der Wirtschaft umstritten
Allerdings ist ein staatlich subventionierter, zeitlich befristeter Industriestrompreis, wie er jetzt diskutiert wird, umstritten. Peter Adrian argumentiert: Ein für fünf Jahre festgesetzter Strompreis helfe nicht weiter. Unternehmer hätten bei Investitionen in neue Produktionsanlagen oft Abschreibungen von zehn bis 15 Jahren.
Nach den Vorstellungen des DIHK-Präsidenten würden "Partnerschaften" zwischen Energieproduzenten und Industrie- und Wirtschaftsunternehmen mehr bringen.
Adrian, selbst Unternehmer, sieht weitere Stellschrauben, an denen dringend nachjustiert werden müsse. Im Deutschlandfunk berichtete er davon, dass es über zehn Monate gedauert habe, ehe es gelang, für eine marokkanische Fachkraft, die sein Betrieb einstellen wollte, ein Visum zu erhalten.
Der Grund: Alles wird noch händisch ausgefüllt. "Wie wollen wir jährlich 400.000 Fachkräfte gewinnen und einen Großteil aus außereuropäischen Ländern hier nach Deutschland ziehen", so Adrian weiter, "wenn wir dafür nicht die digitalen Strukturen geschaffen haben".
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