Wirtschaftskrise:Chinas Jugend - gebildet und arbeitslos
von Elisabeth Schmidt, Peking
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Junge Chinesen sind immer gebildeter, viele finden dennoch keinen Job. Staatschef Xi ermahnt sie mit drastischen Worten, ihre Ansprüche herunterzuschrauben: "Esst Bitterkeit!"
China ist eine wirtschaftliche Großmacht. Doch der Motor stottert. Viele junge Chinesen sind arbeitslos. Welche Perspektiven hat Chinas Jugend?
07.06.2023 | 7:51 min
Shally Zhang ist verzweifelt. "Letztes Jahr habe ich mich auf 60 Stellen beworben und wurde zu 20 Vorstellungsgesprächen eingeladen. Dieses Jahr ist es noch schlimmer: 100 Bewerbungen und nur zehn Einladungen!" Die Studentin ist in ihrem letzten Hochschuljahr und freut sich eigentlich darauf, endlich arbeiten zu können. "Viele Unternehmen sagen, sie wollen erst später im Jahr neues Personal einstellen. Viele Firmen haben überhaupt keine Stellen ausgeschrieben. Die Situation ist echt angespannt!", erzählt sie.
Wir treffen Shally Zhang im Lama-Tempel in Peking. Seit dem Morgen hat sich hier eine lange Schlange vor dem Einlass gebildet. Hunderte stehen stundenlang im Regen, um vor Buddha knien und beten zu können. Das ist neu. In China gibt es eigentlich nur eine Institution, an die die Menschen glauben sollen: die Kommunistische Partei.
Doch zurzeit kann sie vielen keine Sicherheit mehr garantieren. Laut einem bekannten Ticket-Portal wurden in der Volksrepublik in diesem Jahr bereits dreimal so viele Eintrittskarten für Tempel verkauft wie im vergangenen. Die Hälfte der Besucher war 25 Jahre alt oder jünger.
Jeder fünfte junge Mensch in China arbeitslos
Jeder Fünfte in China unter 25 Jahren ist zurzeit arbeitslos - und das sind nur die offiziellen Zahlen. Ein Rekordhoch. Die Wirtschaft in der Volksrepublik erholt sich nach der Corona-Pandemie in einigen Branchen immer noch schleppend. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr 1.158 Millionen College-Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen, ebenfalls ein Rekordhoch.
Während der Pandemie mussten Prüfungen verschoben werden, an den Universitäten gab es einen Stau. Es sei aber auch ein positives Zeichen, meint Zhi Zhang, der Software-Entwicklung studiert. Die hohe Zahl an Absolventen sei gut, "weil es zeigt, dass es immer mehr gebildete Menschen in China gibt".
Xi Jinping: "Esst Bitterkeit"
Mehr Bildung, weniger Armut war das große Versprechen von Staatschef Xi Jinping. Doch dieser Traum wird für viele junge Leute in China gerade zum Albtraum. Denn Xi klingt heute in den Staatsmedien so: "Esst Bitterkeit!" Ganze fünf Mal zitiert die Zeitung "People’s Daily" den Regierungschef Anfang Mai mit diesen Worten.
Was Xi damit meint: Junge Arbeitslose sollten dorthin ziehen, wo sie China und der Partei dienen können. Sie sollten auch von den Städten aufs Land gehen - wie damals Xi während der Kulturrevolution- und auch Tätigkeiten nachgehen, die nicht unbedingt ihren Ansprüchen entsprächen.
Der Propaganda-Apparat verbreitet Geschichten von jungen Leuten, die ein anständiges Leben führen würden mit auskömmlichem Einkommen. Die Jobs dieser jungen Leute: Essenslieferanten, Müllsammler, Fischer oder Landwirte. Doch das schmeckt vielen nicht.
Unzufriedenheit könnte Problem für Partei werden
In den Sozialen Medien wurde vor ein paar Wochen der Song "Der fröhliche Kong Yiji" gehypt. Kong ist eine Figur des berühmten kritischen Schriftstellers Lu Xun. Das Lied handelt davon, dass Kong, ein mittelloser Studierter, lieber verhungert, als dass er den Gelehrtenmantel ablegt und einfachen Tätigkeiten nachgeht. Mehr als vier Millionen Aufrufe erreichte der Song an nur einem Tag. Er wurde umgehend zensiert und gelöscht.
Die Unzufriedenheit der jungen Leute ist gefährlich für den Führungsanspruch der Partei. Doch vielen bleibt erst einmal nichts anderes übrig, als zu hoffen. Im Lama-Tempel erzählt uns Shally Zhang, sie werde erstmal ein weiteres Praktikum machen bei einem staatlichen Unternehmen. Dann geht für sie die Jobsuche weiter, wie für viele Hunderttausend andere junge Chinesinnen und Chinesen in diesem Jahr.
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