Sturzserie: Alpiner Rennsport im Dilemma

Spektakel gegen Sicherheit:Sturzserie: Alpiner Ski-Rennsport im Dilemma

von Stephan Klemm
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Das Material wird immer besser, die Pisten immer schneller, die Geschwindigkeiten immer höher - und es häufen sich die Unfälle. Lösungsansätze verpuffen schnell. Ein Dilemma.

Laura Gauche stürzt beim Super-G
Im Alpin-Zirkus häufen sich die schweren Stürze. Der von der Französin Laura Gauche geht glimpflich aus.
Quelle: imagoimago images 1056087570

Die alpine Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm bietet vordergründig genau die Bilder, die sich die Organisatoren des Internationalen Ski-Verbandes (Fis) von der Wahl des Ortes erhofft haben. Zu sehen war bisher ein faszinierendes Bergpanorama mit schneebedeckten Gipfeln, dazu viel Sonnenschein von einem tiefblauen Himmel und ein ausverkauftes Stadion im Zielbereich.
Doch diese WM hat, wie viele Weltcup-Rennen dieses Winters, noch eine zweite Ebene, eine für die Athleten gefährliche - die der Stürze.
Am Donnerstag erwischte es im Super-G-Rennen der Frauen die Österreicherin Ricarda Haaser, Startnummer 3 - Unachtsamkeit bei knapp 100 Stundenkilometern Geschwindigkeit im Anschluss an einen Sprung im Zwölferkogel-Hang, Sturz. Die Folgen: Kreuzband- und Meniskusriss im rechten Knie, Saison-Aus. Haaser setzte damit eine Reihe von schweren Unfällen im alpinen Skizirkus in dieser Saison fort.

20 Monate Pause für Jacob Schramm

Besonderes Aufsehen erregte der fürchterliche Unfall des französischen Weltklasse-Abfahrers Cyprien Sarrazin in Bormio Ende Dezember - akutes Schädelhämatom, Operation, lange Zeit der Rehabilitation, um überhaupt wieder normal am Leben teilnehmen zu können.
Markus Waldner
Der Sturz von Cyprien Sarrazin sorgt für Kritik an der Stelvio-Piste. ZDF-Experte Marco Büchel über die Herausforderung der Präparierung. FIS-Renndirektor Markus Waldner reagiert auf die Kritik.28.12.2024 | 2:38 min
Auch die Tschechin Tereza Nova erlitt nach ihrem Rennunfall in Garmisch-Partenkirchen schwere Kopfverletzungen. Sie wurde wegen eines Hirnödems in ein künstliches Koma versetzt und ist bisher trotz Stabilisierung noch nicht daraus zurückgeholt worden.
Noch ein Beispiel: Der Oberfranke Jacob Schramm stürzte im Abfahrtstraining auf der Streif in Kitzbühel so schwer, dass er sich gleich beide Kreuzbänder riss, 20 Monate Pause.
Um die 20 Fahrer fallen derzeit mit Verletzungen aus, auch die besten sind betroffen, wie Sarrazin, Mikaela Shiffrin oder ihr Lebensgefährte Alexander Aamodt-Kilde. Sogar der bisher zurückhaltende Fis-Renndirektor Markus Waldner sagt inzwischen in Bezug auf die zunehmend unkontrollierbare Situation auf den Pisten: "Es ist fünf nach zwölf."

Kontrolle neuer Regeln schwierig

Am Donnerstag war Karlheinz Waibel am Rande der Ski-WM in mehreren Sitzungen mit Fis-Delegierten. Waibel führt derzeit den Titel Bundestrainer Wissenschaft, er ist ein Experte für Sturzursachen und -prävention.
Emma Aicher
Beim WM-Coup von Lokalmatadorin Stephanie Venier im Super-G ist die deutsche Ski-Hoffnung Emma Aicher zu einer Top-Platzierung gerast. US-Star Lindsey Vonn schied aus.06.02.2025 | 1:38 min
In Saalbach-Hinterglemm wird derzeit diskutiert, wie sich die technische Entwicklung aufhalten oder zumindest mit von allen akzeptierten Regeln eindämmen lässt. Das sei dringend nötig, sagt Waibel, "denn das Material wird immer besser, es lässt keine Fehler mehr zu". Allerdings sei fraglich, wie solche Regeln kontrolliert werden könnten.
Am Donnerstag sei es um die Anzüge gegangen, "wir sprechen darüber, sie dicker zu machen, damit sie mehr Volumen haben. Sie sollen zudem rauer werden, das soll mehr Luftwiderstand generieren. Protektoren sollen verpflichtend in ihnen enthalten sein."

Einige Athleten pochen auf Ausnahmeregelungen

Zudem geht es um die flächendeckende Einführung von Airbags, wobei einige Athleten auf eine Ausnahmeregelung pochen. Und um schnittfeste Unterwäsche, weil die Skikanten immer schärfer werden.
Marco Odermatt in Aktion während eines Rennens
Marco Odermatt hat das Super-G-Rennen der Alpin-WM in Saalbach gewonnen. Dem Superstar gelang eine nahezu perfekte Fahrt. Zweiter wurde Raphael Haaser aus Österreich.07.02.2025 | 1:54 min
Das Problem sei jedoch, sagt Waibel: "Wir drehen das Rad womöglich bei den Anzügen zurück. Aber dann wird es an einer anderen Stelle wieder weit nach vorne gedreht. Alpiner Skirennsport lebt vom Speed, von Vorteilen beim Material. Und danach strebt jeder."

Auch Rückkehrerin Vonn mischt sich ein

Zuletzt mischte sich auch Lindsey Vonn in die Diskussion ein. Sie plädiert für größere Abstände zwischen den Schwüngen und für mehr Kurven. Doch auch Vonn räumte ein, dass ihr Sport nie ungefährlich sein könne:

Wir Athletinnen riskieren immer, denn wir wollen ja schnell sein. Es gibt keine Möglichkeit, das Risiko ganz zu eliminieren.

Lindsey Vonn, Ski-Rennfahrerin

Das klingt nach einem veritablen Dilemma. Beim Super-G-Rennen der Männer am Freitag gab es auch einen Sturz. Der Deutsche Luis Vogt flog im Zielschuss spektakulär durch die Luft, blieb nach der harten Landung aber unverletzt. Noch einmal Glück gehabt.

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