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Interview
Macron in Hamburg:Frankreich und Deutschland: "Motor der EU"
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Beim Treffen von Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron geht es um engere Zusammenarbeit bei Migration, Energiekrise, Verteidigung. Thema ist auch das Miteinander.
Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron beim Ministerrat im Januar 2023.
Quelle: Michael Kappeler/ dpa
Beim Treffen zwischen Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron am Montag und Dienstag geht es um die gemeinsamen Herausforderungen bei Themen wie Migration, Energiekrise und Verteidigung. Doch wie steht es um das deutsch-französische Verhältnis?
Zwei Politikwissenschaftlerinnen - eine aus Frankreich, eine aus Deutschland - forschen zusammen am Pariser Institut für Internationale Beziehungen (IFRI) und beschäftigen sich täglich mit genau diesen Themen.
ZDFheute: Europa hat viele Krisen zu bewältigen. Da kommt es gerade auf den deutsch-französischen Motor an. Wie ist der Beziehungsstatus zwischen beiden Ländern?
Jeanette Süß: Ich würde schon sagen, angespannt. Ich glaube, da führt kein Weg dran vorbei, die Beziehung so zu bezeichnen, auch wenn sicherlich der politische Wille da ist, die Beziehungen zu verbessern. Der letzte Staatsbesuch, der auch einen symbolischen Charakter hat, musste von Emmanuel Macron abgesagt werden.
Und jetzt hat man eben die Möglichkeit, dass sich der deutsch-französische Ministerrat, der sowieso geplant war, trifft, um auch so ein bisschen in einen richtigen Arbeitsmodus reinzukommen. Und dazu noch dieses etwas symbolische Treffen von Olaf Scholz und Emmanuel Macron.
Marie Krpata: Frankreich und Deutschland bleiben ganz klar der Motor der Europäischen Union.
Mit dem Krieg gegen die Ukraine haben sich die Debatten in den letzten Monaten beschleunigt. Also militärische Abstimmungen, Vereinbarungen bei der Energiepolitik, wirtschaftliche Fragen. Da ist es wichtig, dass man sich trifft, miteinander spricht und die Gespräche vertieft.
Quelle: ZDF
... forschen am Pariser Institut für internationale Beziehungen (IFRI). Die beiden Politikwissenschaftlerinnen arbeiten zu deutsch-französischen Themen.
Jeanette Süß (hier links im Bild) hat Politikwissenschaften in Paris und Berlin studiert. Bereits in Brüssel arbeitete sie für die Friedrich-Naumann-Stiftung zu den deutschen Beziehungen in Frankreich. Am IFRI forscht sie nun auch zum deutsch-französischen Verhältnis und zur Europäischen Union.
Marie Krpata hat Jura und Politikwissenschaften studiert. Seit 2020 ist die Franko-Österreicherin am IFRI. Dort forscht sie zur Innenpolitik der Europäischen Union und den internationalen Beziehungen der EU.
Jeanette Süß (hier links im Bild) hat Politikwissenschaften in Paris und Berlin studiert. Bereits in Brüssel arbeitete sie für die Friedrich-Naumann-Stiftung zu den deutschen Beziehungen in Frankreich. Am IFRI forscht sie nun auch zum deutsch-französischen Verhältnis und zur Europäischen Union.
Marie Krpata hat Jura und Politikwissenschaften studiert. Seit 2020 ist die Franko-Österreicherin am IFRI. Dort forscht sie zur Innenpolitik der Europäischen Union und den internationalen Beziehungen der EU.
ZDFheute: Sie sind schon auf akute Herausforderungen eingegangen. Bei welchen Themen hakt es derzeit zwischen Deutschland und Frankreich am meisten?
Süß: Die zwei wichtigsten Themen, um die es immer wieder geht, sind Verteidigung und Energiepolitik. Aber sicherlich auch in der Finanzpolitik gibt es große Diskrepanzen. Das sind Themen, die waren eigentlich immer schon strittig.
ZDFheute: Die gemeinsame Verteidigungspolitik ist spätestens mit dem Krieg mitten in Europa wieder ganz oben auf der Agenda. Aber geräuschlos ging es zwischen Deutschland und Frankreich bei Fragen der Verteidigung zuletzt selten zu.
Süß: Frankreich setzt sich dafür ein, europäische Waffensysteme und Verteidigungssysteme zu fördern und wirft Deutschland immer wieder vor, durchaus eher auf die transatlantische Partnerschaft zu setzen. Beispielsweise mit der Lieferung von amerikanischen F35-Raketen und weniger an der Herstellung von europäischen Systemen zu wirken.
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Auf der anderen Seite gibt es bereits deutsch-französische Projekte, die dann auch anderen europäischen Partnern zur Verfügung stehen. Etwa ein neues Luftwaffensystem oder auch das gemeinsame Panzersystem MGCS. Aber diese Projekte sind teilweise sehr schwierig auf der operativen Ebene. Und da haben jetzt beide Verteidigungsminister angekündigt, dass es da vorangehen soll.
Krpata: Das Raketenabwehrsystem Arrow 3 ist auch ein strittiges Thema. Berlin hat vor wenigen Tagen angekündigt, darauf zu setzen. Und bereits 18 andere EU-Mitgliedstaaten wollen sich dem Projekt anschließen, das auf israelische und amerikanische Technologie setzt. Frankreich hingegen hat ein anderes Projekt im Blick, kooperiert mit Italien.
ZDFheute: In der Energiepolitik sind beide Länder hingegen in der Krise zusammengekommen, haben einen Deal geschlossen, sich mit Gas und Strom gegenseitig zu versorgen. Oder trügt der Schein?
Süß: Ja, auf jeden Fall würde ich sagen. Der gemeinsame Ministerrat kommt zu einem guten Zeitpunkt, weil auch in der EU gerade intensiv über eine Reform des europäischen Strommarktes verhandelt wird.
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Und da kommen natürlich wieder die traditionellen Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich sehr stark heraus, mit einem sehr unterschiedlichen Energiemix und Energiehaushalt jeweils. Und damit vollkommen unterschiedlichen Abhängigkeiten, die dahinterstehen. Frankreich, was natürlich traditionell seine Nuklearenergie hochhält und Deutschland, was sehr stark auf die Erneuerbaren setzt.
Das ist so weit fortgeschritten, dass jeweils Frankreich und Deutschland sich auch verschiedenen Camps innerhalb der EU angeschlossen haben.
ZDFheute: Aktuell polarisiert die Migrationsdebatte in Europa sehr stark. Die EU hat sich nach langem Ringen auf eine Asylreform geeinigt. Ist das auch ein Verdienst des deutsch-französischen Motors?
Süß: In der Migrationspolitik würde ich jetzt nicht sagen, dass die Positionen so diametral entgegengesetzt sind, wie das jetzt in anderen Feldern ist. Deutschland und Frankreich bilden sicherlich nicht beide extremen Pole innerhalb der EU ab.
Frankreich hat traditionell eine Orientierung hin nach Südeuropa und ist für diese Staaten ein guter Vermittler. Allein schon durch die gemeinsame Grenze mit Italien, aber auch durch seine Ausrichtung hin zu den Maghrebstaaten. Die werden natürlich immer wichtiger, was Konflikte auch auf dem afrikanischen Kontinent angeht.
Deutschland hat traditionell eine sehr starke Diaspora aus den osteuropäischen Staaten. Jetzt gerade schließt Berlin Abkommen mit Georgien und Moldau, die ja auch der Europäischen Union beitreten wollen. Das heißt, diese verschiedenen Pole und auch geopolitischen Orientierungen zusammenzubringen, ist zentral für Deutschland und Frankreich gemeinsam.
Das Interview führte Luis Jachmann, ZDF-Studio Paris.
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