"Beide Deutschlands" in Paris:Dieser Botschafter schreibt Geschichte
von Andreas Kynast
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Stephan Steinlein war der letzte Botschafter der DDR in Frankreich. Heute übernimmt er denselben Posten für die Bundesrepublik Deutschland. Das gab es noch nie.
Als Stephan Steinlein zum ersten Mal als Botschafter nach Paris kommt, ist Emmanuel Macron 13 Jahre alt, Oskar Lafontaine Kanzlerkandidat der SPD und Lothar de Maizière Ministerpräsident der DDR. Es ist 1990 und zum ersten Mal wird die DDR von einem demokratisch gewählten Kabinett regiert.
Die ziemlich bunte und ziemlich bärtige Truppe steht vor der Jahrhundertaufgabe, die Deutsche Einheit vorzubereiten, aber kaum jemand besitzt administrative Erfahrung. Es herrscht Aufbruchstimmung, aber auch Personalnot.
1990 war Stephan Steinlein schon einmal Botschafter in Frankreich - für die DDR.
Quelle: privat
Frankreich-Stelle war einer der wichtigsten Botschafter-Posten der DDR
Stephan Steinlein ist 29, Theologe und kann etwas, das in der DDR nicht selbstverständlich ist: Französisch. Weil er außerdem bereits für die Kirche in Frankreich gewesen ist, schickt ihn Außenminister Markus Meckel kurzerhand auf einen der wichtigsten Botschafterposten, den die DDR zu vergeben hat: Nach Frankreich, dessen Regierung die Wiedervereinigung skeptischer sieht als die anderen Siegermächte.
Verrückte Blitzbeförderungen waren nach dem Fall der Mauer nicht nur in der DDR nötig, erinnert sich Steinlein 33 Jahre später gegenüber dem ZDF: "In ganz Osteuropa mussten Leute in meinem Alter plötzlich Verantwortung übernehmen, weil die Älteren diskreditiert waren und man einfach neue Gesichter brauchte."
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Die DDR in den Jahren 1973 - 1990:
Leergeräumtes Ministerbüro in Berlin
Der neue Außenminister Markus Meckel war gerade noch evangelischer Pfarrer in Magdeburg gewesen und muss plötzlich Dutzende Auslandsposten mit unverdächtigen Personen besetzen. "Ich kam gewissermaßen in ein feindliches Haus", sagt Meckel dem ZDF.
Das Ministerbüro war leer geräumt, der langjährige DDR-Außenminister Oskar Fischer verschwunden. Vertrauenswürdige Personen sucht und findet Meckel vor allem in seinem bisherigen Wirkungskreis, der Kirche: "Und so wurde Stephan dann Botschafter der DDR in Frankreich."
Abneigung und Widerstand in Frankreich
In Paris bekommt auch Steinlein Abneigung und Widerstand zu spüren. "Wir wären uns in der DDR wahrscheinlich nie begegnet", sagt Steinlein über die Diplomaten des untergehenden Landes, die plötzlich seine Kollegen waren.
Die Mitarbeiter seien professionell gewesen, aber die Situation habe viele überfordert: "Sie haben sich alle die Frage gestellt, was aus ihnen wird und natürlich Angst gehabt, in die Arbeitslosigkeit gehen zu müssen."
Nach der Wiedervereinigung ist Steinlein einer der wenigen DDR-Diplomaten, die von der Bundesrepublik übernommen werden. Er drückt die Schulbank in der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amts in Bonn, arbeitet als Referent in der Botschaft in Warschau und in der Ministeriums-Pressestelle in Berlin.
Bundesweit bekannt wird Steinlein in den folgenden Jahren als rechte Hand von Frank-Walter Steinmeier, dem er als engster Mitarbeiter durch all seine bundespolitischen Ämter folgt. Die Kritik an der blauäugigen Russlandpolitik, der sich die letzten Bundesregierungen stellen müssen, ist auch an Steinlein gerichtet.
Wir Deutschen und Russland - eine Dokumentation:
Louis de Funès prägte Frankreich-Bild
Wenn Steinlein an diesem Montagmorgen das Botschafterbüro der Bundesrepublik Deutschland in Paris bezieht, kennt er das Land nicht mehr nur aus den Filmen von Louis de Funès, die das DDR-Fernsehen zeigen durfte und die, wie er sagt, sein frühes Frankreich-Bild geprägt hätten.
Längst ist Steinlein mit einer Französin verheiratet und zum Offizier der Ehrenlegion geschlagen worden. "Ich war Botschafter von zwei Deutschlands", werde er von nun an sagen können. "Ich glaube, ich bin sogar der einzige, der das geschafft hat."
Andreas Kynast ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.
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