Fußball-Experte nach Wolfsgruß bei EM: Muss Sanktionen geben

    Interview

    UEFA nach "Wolfsgruß" gefordert:Köster: "Es muss Sanktionen geben"

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    Ist die UEFA nach Demirals Wolfsgruß in der Pflicht? Für Philipp Köster, Chef des Fußball-Magazins "11 Freunde" ist klar: Der Verband dürfe auf dem rechten Auge nicht blind sein.

    Nach Wolfsgruß: "Es muss Sanktionen geben"
    "Die UEFA darf sich nicht dem Verdacht aussetzen, auf dem rechten Auge blind zu sein", sagt Philipp Köster.04.07.2024 | 4:18 min
     
    ZDF: Mal ganz allgemein, wie politisch darf Fußball eigentlich sein? 
    Philipp Köster: Darüber könnte man jetzt einen halbstündigen Impulsvortrag halten. Klar ist aber, dass Fußball eine ganz große Projektionsfläche ist für ganz, ganz viele gesellschaftliche Themen.
    Wir haben es vor ein paar Jahren mal mit der Nationalmannschaft erlebt, mit Mesut Özil und der Frage, wie gut Integration eigentlich gelungen ist. Also beim Fußball wird alles verhandelt. Insofern ist das sehr politisch. Ob er allerdings immer für politische Gesten genutzt werden sollte, das ist auf einem anderen Blatt zu betrachten.  
    Philipp Köster
    Philipp Köster (*1972) ist Chefredakteur von "11 Freunde - Magazin für Fußballkultur" und Autor mehrerer Bücher zum Thema Fußball.
    Quelle: ZDF/Markus Hertrich

    ZDF: Worin besteht denn aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen den Gesten eines Merih Demiral mit dem Wolfsgruß und etwa dem religiös motivierten Heben des Zeigefingers wie bei Antonio Rüdiger etwa?  
    Rüdiger auf Instagram
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    Köster: Na, zunächst einmal hat Antonio Rüdiger nicht das Fußballstadion als Bühne benutzt, sondern er hat das auf seinem privaten Instagram-Account gemacht. Demiral hat natürlich die ganzen Mitspieler und auch das Publikum quasi in Mithaftung für seinen Gruß genommen.

    Der erhobene Zeigefinger der rechten Hand geht auf die Tradition des Propheten Muhammad zurück, erläutert ZDF-Islam-Experte Abdul-Ahmad Rashid. Der Tauhid-Finger repräsentiert einen wichtigen Glaubenssatz im Islam: den Monotheismus. Tauhid kommt aus dem arabischen und bedeutet "Eins-Sein." Durch den einzelnen Finger soll die Einheit Gottes symbolisiert werden. Neben Gott dürfe demnach keine weitere anbetungswürdige Macht existieren. Diese Vorstellung kommt in der 112. Sure des Korans zum Ausdruck, in der es heißt: "Sprich: Gott ist ein Einziger." In der Praxis wird diese Geste von Muslim*innen jedoch sehr selten benutzt.

    Nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes Niedersachsen ist der Tauhid-Finger per se kein extremistisches Zeichen. Es gibt jedoch islamistische Gruppierungen, die diese Geste nutzen und damit vereinnahmen. Bekannter wurde der erhobene Zeigefinger durch Osama bin Laden, um damit wirksam seine Botschaften zu inszenieren und zu unterstreichen. Die Salafisten führten diese Praxis fort. Einen unrühmlichen Höhepunkt stellte dann die Übernahme der Geste des erhobenen Zeigefingers durch die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats dar. Sie benutzten diese Symbolik als Provokation, um die für sie bestehende Überlegenheit des islamischen Glaubens zum Ausdruck zu bringen.

    Und zum anderen ist es schon die Frage, ob man einen, eigentlich relativ harmlosen, religiösen Gruß veröffentlicht oder ob man eine rechtsextremistische, faschistische Organisation, die auch hier in Deutschland sehr, sehr viele Leute einschüchtert und bedroht, quasi huldigt. Da ist schon ein kleiner, gradueller Unterschied.
    ZDF: Kann man also sagen, politische Gesten nein, religiöse Gesten ja?  
    Köster: So pauschal würde ich es nicht sagen. Ich denke, ganz prinzipiell sind Spieler angehalten, sich mit all diesen Symboliken etwas zurückzuhalten. [...] Man könnte natürlich immer fragen, warum dürfen sich Spieler bekreuzigen. Aber bei Spielern islamischen Glaubens gucken wir ganz besonders genau hin, wie es mit politischen Grüßen oder Botschaften ist.
    Demiral zeigt Wolfsgruß
    Der türkische Torschütze Demiral zeigte beim Torjubel den sogenannten Wolfsgruß. Die UEFA ermittelt nun. 03.07.2024 | 2:03 min
    Mbappé hat sich ja beispielsweise auch gegen den Rechtsruck in seinem Land geäußert, der französische Nationalspieler. Also, das ist ein vermintes Gebiet. Gleichzeitig ist aber auch klar, wer das im Fußballstadion macht, begibt sich auf gefährliches Terrain, weil er eben alle in Mithaftung nimmt - die Spieler genauso wie die Zuschauer. Insofern eigentlich ein Appell, das zumindest auf dem Spielfeld sein zu lassen.
    ZDF: Die Regenbogenbinde und auch die One-Love-Binde, die zum Beispiel die DFB-Elf tragen wollte, wurden ja bei der WM in Katar von der FIFA verboten. Was müsste sich jetzt hieraus Ihrer Meinung nach für die Reaktion der UEFA auf den Wolfsgruß bezogen ergeben? Zumal Herr Demiral auch gesagt hat, er findet die Geste eigentlich nach wie vor in Ordnung, könnte sich vorstellen, die auch wieder zu machen. 
    Manuel Neuer trägt die Kapitänsbinde mit der Aufschrift One Love.
    Manuel Neuer mit der One-Love-Binde.
    Quelle: dpa

    Köster: Also klar ist, die UEFA darf sich nicht dem Verdacht aussetzen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Mit der Entschiedenheit, mit der sie bei der EM 21 die Regenbogenfarben an der Allianz Arena verhindert hat, muss sie jetzt auch sanktionieren, wenn es einen Gruß an eine faschistische Organisation gibt.

    Es muss Strafen geben, es muss Sanktionen geben.

    Wie die aussehen, ist natürlich nochmal die Frage. Aber klar ist, es kann nicht sein, dass Demiral jetzt in den nächsten Spielen ähnliche Grüße vollführt. Also eigentlich müsste die UEFA mit ziemlich großer Schärfe und mit ziemlich großer Strenge vorgehen. Das wäre anzuraten, damit sie glaubwürdig bleibt.  
    ZDF: Das könnte dann auch eine Sperre bedeuten.  
    Köster: Das könnte auch eine Sperre bedeuten. Es sind schon andere Spiele auch von der UEFA für weniger gesperrt worden. Wir haben ja auch noch Jude Bellingham, den Engländer, der wegen obszönen Gesten in Richtung slowakische Bank ebenfalls noch unter Anklage oder unter Ermittlungen steht. Also ich bin mal gespannt, wie die UEFA sich da rauszieht. Es ist klar, diese Schlagzeilen wünscht sie sich nicht. Und sie wird versuchen, diese Situation möglichst rasch zu befrieden.  
    Das Interview führte Christopher Wehrmann. Wir geben es hier leicht gekürzt wieder - das komplettte Gespräch sehen Sie oben im Video.
    Quelle: ZDF

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