Hotline warnt vor Extremismus:Wenn Kinder sich radikalisieren
|
Seit dem Hamas-Angriff auf Israel melden sich viele Eltern bei einer Beratungshotline. Sie fürchten, dass islamistische Extremisten ihre Kinder radikalisieren.
Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für eine Radikalisierung durch religiöse Extremisten. Eine Hotline liefert Eltern ein Beratungsangebot.
Quelle: dpa
Manchmal kommen die Anrufe mitten in der Nacht. Eltern, die bei ihren Kindern extremistische Tendenzen feststellen, sind oft so verzweifelt, dass die Uhrzeit keine Rolle mehr spiele, erzählt Thomas Mücke, Geschäftsführer von "Violence Prevention Network".
Die Organisation unterhält mehrere regionale und eine bundesweite Beratungshotline zu Extremismus.
Mehr Fälle seit Angriff der Hamas
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel beobachtet er eine deutliche Zunahme der Eltern-Anrufe. Die Anfragen hätten sich verdreifacht. Mehr als 100 Mütter und Väter zeigten sich in den vergangenen Wochen besorgt, dass ihre Kinder in den islamischen Extremismus abgleiten könnten.
Mädchen sind besonders anfällig
Oft geht es demnach um Mädchen. "Das ist bei unserer Hotline gerade der Klassiker. Eine Mutter erzählte etwa von einer Zwölfjährigen, die heimlich zum Islam konvertiert sei", so Mücke. Dies sei ein Alarmzeichen dafür, dass eine extremistische Organisation dahinterstecke: Religionsmündig ist man in Deutschland erst ab 14 Jahren und darf auch erst dann die Religion unabhängig von den Eltern wählen.
Die Initiative "Muslim Interaktiv" tarnt sich mit Aufklärung über Rassismus. Doch sie gehört zu den islamistischen Gruppierungen, die dafür sorgen, dass die Gräben im Land wachsen.27.10.2023 | 13:16 min
"Oft kommen dann Aussagen hinzu, dass der Islam die einzig wahre Religion sei und durch ihn alles besser werde. Auch wird oft ein Schulabbruch in Erwägung gezogen und versucht, die Familie in ihrer Lebensweise zu beeinflussen und zu missionieren", sagt Mücke.
Das Kind hat sich sehr plötzlich völlig verändert
Der Freundeskreis hat sich verändert
Ein Schulabbruch wird in Erwägung gezogen
Der Islam wird als die einzig wahre Religion propagiert
Regeln des Islam werden streng befolgt, ohne sie zu hinterfragen
Das Kind versucht, die Familie in ihrer Lebensweise zu beeinflussen, sie zu missionieren
Das Gespräch mit dem Kind immer wieder suchen, die Kommunikation nicht abbrechen lassen
Das Kind nicht für seine Handlung oder seine Reden verurteilen, sondern signalisieren, dass man sich Sorgen macht
Beratungsgespräche suchen
Die gemeinnützige Organisation "Violence Prevention Network" ewa bietet unter der Telefonnummer 0176-46136255 eine bundesweite Hotline.
Die meisten Anrufer sind Deutsche
Die meisten Anrufer, die sich um ihre 12- bis 26-jährigen Kinder sorgen, sind demnach deutscher Herkunft. Deutsche Familien würden bei Beratungsbedarf eher Hilfsangebote in Anspruch nehmen, erklärt Mücke.
Islamistische Organisationen versuchten, "immer alle anzusprechen, um für die Ideologie zu werben". Dies werde vor allem über Emotionen versucht, etwa wenn Bilder von leidenden und sterbenden Kindern im Gazastreifen gezeigt würden. "Junge Menschen sind über die moralische Instanz leicht erreichbar", so Mücke.
Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Ein Rückblick.
Humanitäres Interesse ist Einfallstor
Ein Phänomen, dass Forscher schon vor Jahren im Zusammenhang mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) für Syrien beschrieben haben. Nicht selten fühlten sich junge Frauen in Europa zunächst aus humanitärem Interesse von der terroristischen Propaganda angesprochen: Viele von ihnen wollten eigentlich Ärztinnen, Krankenschwestern oder Sozialarbeiterinnen werden.
Besonders empfänglich seien Kinder in Trennungssituationen oder anderen problematischen Familiendynamiken für islamischen Extremismus, erklärt Berater Mücke.
Dies sei unabhängig vom Beruf der Eltern oder der sozialen Schicht. Auch "die Tochter eines Polizeibeamten oder der Sohn einer Lehrerin" könne von der Gesellschaft, dem Elternhaus und dem Freundeskreis entfremdet werden.
Terrorismusexperte Peter Neumann hält die Terrorgefahr für so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr - auch durch eine Radikalisierung durch soziale Medien.12.11.2023 | 1:15 min
Wertschätzung als Türöffner
Vor allem über Wertschätzung und Interesse gelinge es den Extremisten, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu bekommen, erklärt Mücke - meist über Gleichaltrige, oft in der Schule. "Die Jugendlichen werden freundlich eingeladen, lernen zunächst einmal vor allem die schönen Seiten des Islam kennen." Mücke, der seit vielen Jahren als Berater tätig ist, weiß um die Verzweiflung vieler Eltern, die ihre Kinder nicht mehr erreichen können. "Am wichtigsten ist es deshalb, die Kommunikation nicht abbrechen zu lassen", betont er.
Trotz aller Ängste um das Kind sollten Eltern deshalb gesprächsbereit bleiben und Verständnis zeigen. "Junge Menschen brauchen einen Raum, wo sie sich äußern können. Beim Kind darf nicht hängenbleiben, dass die Eltern gegen es sind - sondern dass sie sich Sorgen machen."