EU-Parlament: Fast jeder Dritte mit Zusatzverdienst

    Insgesamt 6,3 Millionen Euro:EU-Parlament: Fast jeder Dritte mit Nebenjob

    von Sophia Stahl und Tim Berninghaus
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    Fast jeder Dritte im neuen EU-Parlament hat Nebeneinkünfte. Unter den Abgeordneten mit den üppigsten Zuverdiensten sind vier Deutsche. Gibt es Interessenkonflikte?

    Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg
    EU-Abgeordnete haben teils üppige Nebeneinkünfte.
    Quelle: Imago

    Ein Gehalt von rund 11.000 Euro brutto im Monat soll sicherstellen, dass jeder EU-Parlamentarier sein Mandat unabhängig ausüben kann. Doch fast jeder Dritte im neu gewählten EU-Parlament übt einen bezahlten Nebenjob aus, wie eine aktuelle Analyse von Transparency International zusammen mit ZDF frontal, "Spiegel" und "Standard" zeigt. Einige Parlamentarier fallen durch besonders hohe Summen auf, die sie zusätzlich einnehmen.
    Insgesamt kommen die 216 Abgeordneten, die nebenbei verdienen, auf Zusatzeinkünfte von 6,3 Millionen Euro jährlich. Fast 1,3 Millionen Euro kommen bei den 38 deutschen EU-Parlamentariern mit Nebenjobs pro Jahr zusammen. Damit landet Deutschland im europäischen Länder-Ranking oben.
    Länder mit den höchsten Nebeneinkommen

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    Spitzen-Nebeneinkommen: Vier Deutsche dabei

    Zu den zehn Parlamentariern, die mit Nebenjobs das meiste Geld verdienen, gehören auch vier Deutsche: der stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Wähler, Engin Eroglu (Renew Europe), EVP-Chef Manfred Weber, die Vize-Vorsitzende der CSU, Angelika Niebler, und der CSU-Abgeordnete Stefan Köhler (alle Mitglieder der EVP).
    Engin Eroglu, der im Nebenverdienst-Ranking auf Platz vier aller Abgeordneten landet, gibt an, sein Einkommen von 177.500 Euro jährlich stamme hauptsächlich aus "Immobilien" und "Vermietung". Manfred Weber erhält etwa 170.000 Euro zusätzlich im Jahr für seine Funktion als EVP-Vorsitzender. Er teilt mit, er konzentriere sich "voll und ganz" auf seine politischen Aufgaben.
    Abgeordnete mit den höchsten Nebenverdiensten pro Jahr

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    Nebeneinkommen und mögliche Interessenkonflikte

    Kritischer sehen Transparenzorganisationen die Rolle der konservativen Abgeordneten Angelika Niebler. Sie ist bereits in der Vergangenheit für mögliche Interessenkonflikte kritisiert worden. Niebler sitzt seit 1999 im EU-Parlament, arbeitet seit zwanzig Jahren nebenbei für Anwaltskanzleien und verdient aktuell mit mehreren Nebentätigkeiten nach eigenen Angaben jährlich fast 169.000 Euro.
    Fotomontage: Plenarsaal des EU-Parlaments, im Vordergrund Eva Kaili mit rosa Schaal, hinter ihr ein Mann im Thawb, dem traditionellen, weißen Gewand.
    Im Dezember 2022 erschüttert der Korruptionsskandal "Katargate", in dessen Zentrum die ehemalige Vizepräsidentin Eva Kaili steht, Brüssel und das Europäische Parlament. 11.04.2024 | 90:41 min
    Seit 2015 berät sie beispielsweise die Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher, die auch als Lobbygruppe im EU-Parlament agiert. "Unsere Aktivitäten beziehen sich auf die Richtlinie über erneuerbare Energien", schreibt die Kanzlei im EU-Transparenzregister, einer Liste für Interessenvertretungen im EU-Parlament. Niebler sitzt unter anderem im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und ist stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss.
    Niebler betont, dass von ihr gestellte Anfragen zur Klimapolitik der EU - wie zuletzt im September zu möglichen Arbeitsplatzverlusten durch das Ende des Verbrennermotors - "selbstverständlich nicht" im Zusammenhang mit ihrer Beratertätigkeit bei Gibson, Dunn & Crutcher stünden. Die CSU-Politikerin verweist auf Angaben auf ihrer Homepage, nach denen sie "keine Mandanten im europäischen Recht" vertrete. Sie konzentriere sich stattdessen auf "Diversity Management, Frauenförderung und Führungskräfteentwicklung".

    Bauernverband im Agrarausschuss

    Und auch bei Stefan Köhler, der neu ins Parlament gewählt wurde und im EU-Agrarausschuss sitzt, sehen Organisationen wie Lobbycontrol mögliche Interessenkonflikte. Köhler bezieht nach eigenen Angaben als Bezirkspräsident mehr als 50.000 Euro jährlich vom Bayerischen Bauernverband (BBV). Köhler ließ eine ZDF-Anfrage unbeantwortet.
    Der CDU-Politiker Philipp Amthor. Archivbild
    Lobbyismus wurde Philipp Amthor im letzten Jahr vorgeworfen. Es löste ein politisches Beben aus. Er weist von sich, für politische Interessensvertretung bezahlt worden zu sein.26.05.2021 | 22:25 min
    Der BBV wies darauf hin, dass Köhler seit August "deutlich weniger" Aufwandsentschädigungen erhalte und einige Verantwortlichkeiten abgegeben habe. Seine Verbindung zum Bauernverband sei für Köhler als Abgeordneter eine "weitere Informationsmöglichkeit". Im EU-Parlament sitzt der EVP-Abgeordnete, der eine eigene Mutterkuhhaltung bewirtschaftet, in den Ausschüssen zur Lebensmittelsicherheit und Landwirtschaft.
    Politikwissenschaftlerin Wiebke Marie Junk, die an der Universität Kopenhagen zu Lobbyismus forscht, warnt im Fall des Bauernverbands vor drohenden Interessenkonflikten: "Besonders wenn die Mitglieder in Ausschüssen sitzen, die über Themen entscheiden, die direkt mit der Nebentätigkeit verknüpft sind."

    Zuverdienst unbeschränkt möglich

    Es ist weder verboten, bezahlten Nebentätigkeiten nachzugehen, noch ist die Höhe des Zuverdienstes beschränkt. Seit 2012 sind EU-Parlamentarier jedoch verpflichtet, ihre privaten Nebenjobs, etwa Posten in Aufsichts- oder Verwaltungsräten oder anderweitige Nebentätigkeiten, anzugeben. Die Erklärungen sind auf der Seite des Europäischen Parlaments öffentlich einsehbar, allerdings sind einige Angaben darin weiterhin unvollständig oder unpräzise.
    Die Recherche wurde von "Le Monde" und der Rechercheorganisation ARIA koordiniert, in Zusammenarbeit mit Transparency International EU und sieben europäischen Medien: "De Tijd" (Belgien), "L’Espresso" (Italien), "Der Spiegel" und ZDF (Deutschland), "Der Standard" (Österreich), "El Confidencial" (Spanien) und DeSmog.

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