Wie sind die Regeln zur Gentechnik derzeit?
Bisher gibt es in der EU strenge Vorgaben für Zulassungsprozesse, Risikobewertung und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen für die Lebensmittelproduktion. Sie stammen aus dem Jahr 2001. Der Europäische Gerichtshof erklärte in einem
Grundsatzurteil im Jahr 2018, dass die über 20 Jahre alten Auflagen auch für Verfahren mit Neuen Gentechiken (NGT) gelten, beispielsweise für die sogenannte DNA-Schere Crispr/Cas. NGT erlauben präzise Eingriffe ins Erbgut - 2001 gab es sie noch nicht.
Was genau plant die EU-Kommission?
Die Kommission will, dass Verfahren wie die Crispr/Cas-Genschere nicht mehr den EU-Gentechnikregeln unterliegen, wenn die dadurch entstandene Sorten auch ohne Gentechnik auf natürliche Weise hätten entstehen können, zum Beispiel durch Kreuzung und Auslese.
Damit würde es einfacher werden, Nutzpflanzen für Nahrungs- und Futtermittel schneller und zielgerichteter zu züchten - die beispielsweise widerstandsfähiger gegen Wassermangel oder Schädlinge sind. Die EU-Mitgliedstaaten dürften für die Verbreitung solche Pflanzen keine gesetzlichen Einschränkungen mehr erlassen.
Die Klimakrise ändert das Wetter. Die Folgen: Überschwemmungen, Hitze und Dürre. Das hat große Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft. Neue Strategien werden dringend gebraucht.25.10.2021 | 17:14 min
Was spricht für die Pläne?
Ziel der EU ist es, die Landwirtschaft widerstandsfähiger zu machen, wie die Kommission erklärte. Die Deregulierung solle die Entwicklung von Pflanzensorten fördern, die Klimawandel und Schädlingen resistenter gegenüberstehen. Diese sollen weniger Düngemittel und Pestizide benötigen. So sollen die Erträge wachsen und die EU unabhängiger von Agrarimporten werden. Das Maßnahmenpaket gehört zum klimapolitischen Vorhaben "Green Deal" der
Europäischen Union.
Wirtschaftsverbände und viele konservative und liberale Politikerinnen und Politiker begrüßten die EU-Pläne, ebenso wie Wissenschaftsverbände und Forschungsinstitute. So hatte beispielsweise die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schon 2019 eine
Neubewertung von NGT-Pflanzen gefordert, weil die alten EU-Regeln nicht mehr dem Stand der Forschung entsprachen und "rational nicht zu begründen" seien.
Andreas Weber, der Leiter des Instituts Biochemie der Pflanzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sagte dem
Science-Media-Center, die geplante Gleichstellung von NGT-Pflanzen mit herkömmlich gezüchteten Pflanzen entspreche "dem Konsens der Empfehlungen zahlreicher unabhängiger Akademien, Wissenschaftsverbände und Forschungsinstitute."
Pflanzenzucht und Landwirtschaft sind nicht “natürlich”... aber warum?27.03.2022 | 27:48 min
Welche Argumente sprechen gegen die Pläne?
Gegner der EU-Pläne bringen für ihre Ablehnung der geplanten Lockerungen sehr unterschiedliche Gründe vor.
Negative Auswirkungen auf Ökosysteme: Davor warnt das Bundesamt für Naturschutz, Deutschlands oberste Naturschutzbehörde. Die Gefahr sei auch bei NTG-Pflanzen nicht kleiner als bei herkömmlich genveränderten Pflanzen, schreibt die Behörde
auf ihrer Website:
"Sollte es beispielsweise gelingen, eine trockenresistente Feldfrucht zu entwickeln, so könnte diese invasiv werden, weil sie auf einmal Habitate besiedeln könnte, in denen sie vorher nicht überleben konnte." Es bestehe die Gefahr, dass solche Pflanzen andere in der Natur verdrängen.
Mangelnde Verbraucherinformation: Auch die Lebensmittelbranche kritisiert die geplanten Lockerungen. Viele Produkte auf Basis gentechnisch veränderter Pflanzen müssen den Plänen zufolge nicht mehr gekennzeichnet werden. Doch eine transparente Verbraucherinformationen sei Voraussetzung für eine Wahlmöglichkeit und eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung der Konsumenten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH) Franz-Martin Rausch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hatte bereits vor Veröffentlichung der offiziellen EU-Pläne mehr als 60.000 Unterschriften gegen die Pläne gesammelt und dem Landwirtschaftsministerium übergeben. Motto der Petition:
"Gentechnik muss erkennbar bleiben".
Sorge um Öko-Landwirtschaft: "Der Vorschlag wäre das Ende der ökologischen Landwirtschaft", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Agrarökonom Karl Bär bereits im Juni, als die Pläne bekannt wurden. Denn Ökolandbau ist per Definition frei von Gentechnik und müsse sich mit immer mehr Aufwand vor Kontamination etwa durch von Wind verwehte Samen schützen.
Hitze, Hagelschlag, Dürre - Wetterextreme lassen Ernten schrumpfen. Die Landwirtschaft befindet sich im Wettlauf mit dem Klimawandel. Forscher*innen und ein Landwirt ziehen Bilanz.
von Katharina Schuster
Ärger um Patente: Kritiker befürchten auch, dass Großkonzerne etwa über Patente mehr Einfluss und Macht bekommen. Gentechnisch veränderte Pflanzen könnten patentiert werden und Bauern müssen möglicherweise bald Patentgebühren bezahlen. Das lehnt der Deutsche Bauernverband in einem
Positionspapier strikt ab - obwohl er die Neuregelung ansonsten grundsätzlich begrüßt.
Wie positioniert sich die Bundesregierung?
Nicht eindeutig - aus der
Ampel-Koalition gab es bisher unterschiedliche Stimmen: Aus dem vom Grünen
Cem Özdemir geführten Agrarministerium hieß es jüngst, gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein. Aus dem Bundesumweltministerium unter
Steffi Lemke (
Grüne) gab es ebenfalls skeptische Äußerungen bezüglich einer Lockerung der Regeln, auch in den Reihen der
SPD gibt es Kritik: Der gesellschaftliche Nutzen werde in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis ziele die Gentechnik auf Patente und Profite, sagte Entwicklungsministerin
Svenja Schulze der Funke Mediengruppe.
"Wer diese Technologie ablehnt, agiert fahrlässig und verantwortungslos", sagte hingegen Carina Konrad, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der
FDP, der Deutschen Presse-Agentur. Dies sollten auch das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium endlich anerkennen.
Mit Material von dpa, AFP und epd