In Thüringen gewinnt die AfD erstmals eine Landtagswahl.
Quelle: AFP
Die Linke, vor fünf Jahren in
Thüringen noch stärkste Partei mit ihrem besten Ergebnis überhaupt, stürzt ab und wird mehr als halbiert. Die
AfD wird erstmal stärkste Partei bei einer Landtagswahl und dies mit deutlichem Abstand vor der
CDU, die sich nur leicht erholen kann. Das
BSW ist aus dem Stand stark, die
SPD bleibt unverändert schwach,
FDP und vielleicht auch
die Grünen werden dem neuen Landtag nicht mehr angehören.
Ausgangslage: Unzufriedenheit und Polarisierung
Überlagert von höchster Unzufriedenheit sowohl mit der Bundes- als auch der Landesregierung, einer extremen Polarisierung und personeller sowie inhaltlicher Schwächen aller Parteien wird die AfD in einem stark fragmentierten Umfeld erstmals stärkste Partei bei einer Landtagswahl.
Die AfD geht als Sieger aus der Landtagswahl in Thüringen hervor. Auch das BSW zählt zu den klaren Gewinnern und könnte mitregieren.02.09.2024 | 2:04 min
Wie im benachbarten Sachsen punktet die AfD klar beim Top-Thema "Flüchtlinge/Asyl", bleibt ansonsten aber genau wie das BSW inhaltlich schwach und hat mit Björn Höcke einen Spitzenkandidaten, der außerhalb der eigenen Reihen extrem kritisch gesehen wird. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) liegt auf der persönlichen Ebene zwar vor seinen Herausforderern von AfD, CDU und BSW, hat aber an Zugkraft verloren.
Kandidaten: Schwache Imagewerte
So bevorzugen die Thüringer den Amtsinhaber, wenn es um den gewünschten Regierungschef geht, vor den Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Die Regierungsbilanz Ramelows - 60 Prozent bescheinigen ihm eine gute Regierungsarbeit - ist im Vergleich zu anderen Länderchefs allerdings eher unterdurchschnittlich, und auch sein Ansehen (plus 0,8 auf der +5/-5-Skala; 2019:1,6) hat gelitten.
CDU-Herausforderer Mario Voigt (0,0) und Katja Wolf vom BSW (minus 0,4) empfehlen sich ebenfalls nicht. Noch schwächer ist der Imagewert von AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke (minus 2,0). Nach wie vor sehen 61 Prozent in Höcke "eine Gefahr für die Demokratie". Dabei wählen 32 Prozent der AfD-Wähler die AfD primär als "Denkzettel", aber 62 Prozent "wegen ihrer politischen Forderungen".
Parteien: Imageeinbruch bei fast allen Parteien
Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung ist auf Rekordniveau (minus 0,8), auch die Arbeit der Opposition wird kritisch bewertet. So haben sämtliche Parteien zum Teil massive Ansehensverluste. Einzig die AfD verbessert ihr Image etwas, bleibt aber dennoch negativ (minus 1,4). Der BSW schafft aus dem Stand einen vergleichsweise guten Wert (0,1).
Die Unzufriedenheit der Thüringer*innen, von denen 57 Prozent die Zukunftsvorbereitung ihres Landes als schlecht beurteilen, beschränkt sich nicht auf die Politik in ihrem Land. Die Bundesregierung wird mit minus 2,2 so negativ wie noch nie bei einer Landtagswahl bewertet. Den Grund für das schlechte Abschneiden von Grünen und FDP sehen die Thüringer primär "bei der jeweiligen Partei im Bund".
Top-Themen: Flüchtlinge/Asyl und Schule/Bildung
Lediglich beim Thema "Flüchtlinge/Asyl" (34 Prozent) genießt die AfD unter allen Befragten deutlich mehr Vertrauen in ihre Politik als andere Parteien. Beim Thema "Bildung und Schule" punktet die CDU knapp vor der AfD. Bei "Sozialer Gerechtigkeit" liegen AfD, Linke, CDU und BSW nah beieinander und bei "Wirtschaft" führt die CDU deutlich.
Wie wenig die Thüringer sich von der aktuellen Bundespolitik abgeholt fühlen, wird denn auch deutlich bei der Frage, welche Partei sich am ehesten um die Sorgen und Nöte der Ostdeutschen kümmert: 25 Prozent nennen die AfD, 22 Prozent die Linke - vor fünf Jahren lag deren Anteil noch bei 40 Prozent -, elf Prozent die CDU und zehn Prozent das BSW. Die Parteien der Bundesregierung spielen hier keine Rolle.
Koalitionen: Unklare Verhältnisse
Wie unklar die politische Lage ist, zeigt die Frage, wer die künftige Regierung führen soll: 33 Prozent nennen die CDU, 26 Prozent die AfD, 20 Prozent die Linke und 12 Prozent das BSW (weiß nicht: neun Prozent).
Dass die CDU im Vorfeld der Wahl ein Bündnis mit der Linken ausgeschlossen hat, finden 67 Prozent aller Thüringer nicht richtig und selbst 68 Prozent der CDU-Anhänger. Dass sie ein Bündnis mit der AfD ausgeschlossen hat, erachten umgekehrt 54 Prozent als richtig und auch 88 Prozent der CDU-Anhänger, 43 Prozent der Befragten insgesamt erachten es als falsch.
Erneut lehnen die Thüringer mehrheitlich (58 Prozent) eine Regierungsbeteiligung der AfD ab, 36 Prozent befürworten sie. Eine Beteiligung des BSW fänden nur 28 Prozent schlecht, 36 Prozent gut und 29 Prozent wäre das egal.
Wer wählte wen: Große Altersunterschiede
Die AfD ist in allen sozialen Gruppen stark, dazu kommt ein massiver Gender-Gap: Bei Wählerinnen erreicht die AfD 28 Prozent, bei Wählern sind es 39 Prozent. Bei den unter 60-jährigen Männern erhält die AfD besonders viel Zuspruch (43 Prozent).
Die CDU ist wie gewohnt bei den ab 60-Jähigen besonders erfolgreich (31 Prozent), bei den unter 30-Jährigen erzielt sie nur 13 Prozent. Die Linke bricht bei der beteiligungsstarken Gruppe der ab 60-Jährigen ein (minus 27 Punkte). Umgekehrt erzielt das BSW in dieser Altersgruppe ihr bestes Ergebnis (17 Prozent).
Die Zahlen basieren auf einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.217 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in Thüringen in der Woche vor der Wahl (telefonisch/online) sowie auf der Befragung von 16.416 Wählerinnen und Wähler am Wahltag.