Mau im "Lanz"-Talk: "Im Osten keine Parteien-Demokratie"
"Lanz"-Talk über Ostdeutschland:Mau: "Im Osten keine Parteien-Demokratie"
von Michael C. Starke
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Wie tickt der Osten? FDP-Politikerin Teuteberg beklagt bei "Lanz" einen zu eindimensionalen Blick. Soziologe Mau betont: Der Osten wird auf absehbare Zeit anders bleiben.
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 18. Juli 2024 in voller Länge.18.07.2024 | 74:59 min
Erst Thüringen und Sachsen, dann Brandenburg - in drei ostdeutschen Bundesländern werden im September neue Landesparlamente gewählt. Angesichts aktueller Umfragen und der Ergebnisse bei der Europawahl im Juni blicken viele mit Sorgen auf den Ausgang.
Denn die AfD könnte in einem oder in mehreren Ländern stärkste Kraft werden. Abzuwarten bleibt auch, wie die neue Wagenknecht-Partei BSW abschneidet.
SPD, Grüne und FDP krebsen dagegen teilweise bei einstelligen Umfragewerten herum - und drohen, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Woran liegt das?
In Sachsen und weiteren Bundesländern wird in wenigen Monaten ein neuer Landtag gewählt. Umso interessanter ist der Erfolg der AfD und des BSW bei der Europawahl. 10.06.2024 | 1:31 min
Mau: Parteien-Demokratie im Osten nie eingewurzelt
"Parteien-Demokratie im Osten funktioniert anders als im Westen", diagnostiziert am Donnerstagabend der Berliner Soziologe Steffen Mau bei "Markus Lanz". Zwar hätten SPD und CDU riesige Gewinne eingefahren in den 90er-Jahren, "aber die Struktur war nicht da, also die Ortsvereine, die Mitglieder. Es sind nur 0,8 von 100 ostdeutschen Wahlberechtigten Mitglied einer Partei".
Hinzu käme der "vorpolitische Raum, der kaum politisiert" sei, erklärt der 1968 in Rostock geborene Autor weiter - und meint damit etwa Gewerkschaften, Kirchen und Vereine: "Wenn ich Ihnen sage, jemand arbeitet in der metallverarbeitenden Industrie in Bremen, ist Gewerkschaftsmitglied, dann wissen Sie ungefähr, welche Partei die Person wählt."
Laut Mau hat das zwei Konsequenzen: Im Osten gibt es mehr Wechselwähler - und eine "größere Ansprechbarkeit durch eine emotionalisierte Stimmungspolitik." Darin erkennt der Soziologe eine Art Resonanzboden für AfD und BSW, "die angesammelten Unmut abschöpfen".
Die Demokratie stehe bei den Landtagswahlen im September "offenbar auf einem Prüfstand", sagt Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Hinblick auf die Stärke der AfD im Osten.19.07.2024 | 4:49 min
Landrat: Geht um Lösungen für Alltagsprobleme
Ein Punkt, an dem Werner Henning einhakt. Fast 35 Jahre war der CDU-Kommunalpolitiker als Landrat in Thüringen tätig. Zentraler Punkt für ihn:
Das trifft auf Zustimmung bei Linda Teuteberg. Die Ex-FDP-Generalsekretärin moniert mit Blick auf die AfD, "eine binäre Logik" helfe wenig, wann man Wähler "seriös zurückgewinnen" wolle. Kapriziere man sich nur auf den AfD-Anteil in Wahlkreisen, "dann wird das Teil des Problems und nicht der Lösung", so die geborene Brandenburgerin weiter.
Ihr Plädoyer daher: "Es macht Sinn, sich zu fragen: Was sind die Themen, die in Ost und West zu bearbeiten sich lohnt, damit wir Extremisten auf einen kleineren Kern zurückdrängen, den es gibt - aber nicht, dass sie Zulauf bekommen?"
In fast jedem ostdeutschen Wahlkreis wurde die AfD stärkste Kraft. Warum? Wir haben uns in Sachsen umgehört.14.06.2024 | 8:04 min
Teuteberg: "Tappen in AfD-Falle"
Doch damit endet Teutebergs Kritik nicht. Sie beklagt, dass auch in den Medien vor allem mögliche Koalitionsoptionen im Fokus stünden. Die FDP-Politikerin entgegnet:
Auch Journalist Robin Alexander warnt an dieser Stelle vor einem "Teufelskreis". Es sei geradezu die "Idee" der AfD, so der stellvertretende "Welt"-Chefredakteur, durch eigenes Erstarken einen Wechsel in der Mitte zu verhindern - etwa, wenn die CDU mit eher unliebsamen Parteien koalieren müsste.
Doch Teuteberg deutet zumindest an, dass sie von den Parteien mehr Flexibiliät erwarte: "Das ist die Falle", so die FDP-Politikerin, "in die wir manchmal tappen".
Wie in Sachsen, liegt die AfD auch in Thüringen in Umfragen zur Landtagswahl am 1. September vorn. Zweitstärkste Kraft ist die CDU, gefolgt vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Amtsinhaber Ramelow von den Linken bangt um sein Amt.20.07.2024 | 3:41 min
Mit Bürgerräten zu neuer Demokratie-Blüte?
Für den Soziologen Mau ist klar: Soll die Demokratie im Osten gestärkt werden, braucht es neue Ansätze. Konkret schlägt er Bürgerräte vor - Gremien, für die Bürger per Losverfahren ausgewählt werden und die zu einer "zuvor definierten politischen Fragestellung eine gemeinsame Position finden".
Sein Hebel also: auf die Selbstwirksamkeit der Menschen setzen und Demokratie am eigenen Leib erlebbar zu machen.