Türkische Rechtsextremisten: Wie "Graue Wölfe" Kritiker jagen

    Geplante Anschläge und Drohungen:Wie "Graue Wölfe" Kritiker jagen und bedrohen

    Ninve Ermagan
    von Ninve Ermagan
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    Für manche sind "Graue Wölfe" erst seit der EM Thema - doch die türkischen Rechtsextremen bedrohen seit Jahrzehnten Minderheiten und Türkei-Kritiker. Betroffene schlagen Alarm.

    Eine Hand zeigt den «Wolfsgruß» der Grauen Wölfe.
    Hetze im Netz, Angriffe auf Minderheiten, Einschüchterung von Andersdenkenden: Auch in Deutschland werden Menschen zur Zielscheibe der "Grauen Wölfe."
    Quelle: Peter Kneffel/dpa/Archiv

    Für manche in Deutschland sind die "Grauen Wölfe" erst seit der Fußball-EM ein Thema - seit der türkische Fußballstar Merih Demiral sein Tor zum 2:0 gegen Österreich mit dem Wolfsgruß zelebrierte, einer Geste der Bewegung. 
    Für andere in Deutschland sind die "Grauen Wölfe" dagegen oft Thema. Drohungen, geplante Mordanschläge und Gewaltaufrufe: Immer wieder schüchtern türkische Rechtsextremisten Minderheiten und türkische Dissidenten ein, auch in Deutschland.
    ZDFheute hat mit Betroffenen gesprochen - und zeigt, auf wen es die Anhänger abgesehen haben. 

    Morddrohung und Verfolgungsjagd durch die Essener Innenstadt

    "Scheiß Kurde, wir werden dich finden" - solche Drohungen erhält Civan Akbulut seit Jahren. Seit der 23-jährige Deutsch-Kurde 2021 in den Essener Integrationsrat gewählt wurde und öffentlich die türkische Regierung kritisiert, lebt er in "ständiger Angst". Ein Anhänger der "Grauen Wölfe" schrieb ihm: "Ich werde nach Essen kommen und dich töten. Selbst wenn ich nicht komme, habe ich viele Leute dort." Um seiner Nachricht Glaubwürdigkeit zu verleihen, schickte er Civan Bilder von enthaupteten Menschen. Zu dieser Zeit machte der Medizin-Student sein FSJ beim Rettungsdienst.
    Demiral zeigt Wolfsgruß
    Der türkische Torschütze Demiral zeigte beim Torjubel den sogenannten Wolfsgruß. Die UEFA ermittelt nun. Demiral verteidigt die Geste als Ausdruck seiner Freude.03.07.2024 | 2:03 min
    Und er beschreibt die Situation, die sein Sicherheitsgefühl veränderte: Einige Monate später, während er im Dienst war und vor einer roten Ampel hielt, rief ihm ein Mann aus einem weißen Sportwagen etwas zu. Civan dachte zunächst an einen medizinischen Notfall. Doch als er das Fenster herunterließ, wurde er von dem Mann auf Türkisch beleidigt und bedroht:

    Ich weiß wer du bist. Ich habe dich erkannt, jetzt wirst du sehen.

    Civan erzählt im Gespräch mit ZDFheute, wie ihn die Panik überrollte und er mit voller Geschwindigkeit losfuhr. Was folgte, war eine Verfolgungsjagd durch die Essener Innenstadt. "Er ist mir hinterhergefahren und hat versucht, mich zu überholen und vor mich zu stellen, um mich auszubremsen." Als Civan letztlich die Wache erreichte, fuhr der weiße Sportwagen fort.

    Ihr Symbol ist der "Graue Wolf", oft zusammen mit drei Halbmonden. Sie nennen sich selbst "Ülkücüler", was auf Deutsch so viel heißt wie "Idealisten". In ihren flammenden Reden fordern sie vehement die Einheit der türkischsprachigen Völker - dieses große Ideal, die zentralasiatische Heimat aller Türken, nennen sie "Turan".

    Und sie sind viele: Allein in Deutschland schätzt der Verfassungsschutz die Zahl der "Ülkücü"-Anhänger auf 12.000, andere Quellen gehen von bis zu 20.000 Grauen Wölfe aus, die ihre Ansichten "auf einer nationalistischen, antisemitischen und rassistischen rechtsextremistischen Ideologie" gründen, wie die Behörde schreibt. Die Bundeszentrale für politische Bildung nannte die Grauen Wölfe "die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland".

    Die Grauen Wölfe sind nicht nur für ihre nationalistische Agenda und aggressive Rhetorik, sondern auch für ihre teils paramilitärischen Strukturen bekannt. Vor allem in den 70er Jahren radikalisierte sich die Bewegung, Anhänger überzogen ihre Gegner mit Terror und Gewalt – hunderte Morde sollen auf ihr Konto gehen.

    In der Türkei ist die ultranationalistische MHP die politische Vertretung der "Ulkücü"-Bewegung. Sie ist Bündnispartnerin der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

    Wikipedia-Eintrag meldet Civans Tod

    Als im März dieses Jahres türkische Rechtsextreme kurdische Feierlichkeiten des Neujahrsfestes Newroz in Belgien angriffen und dabei sechs Menschen schwer verletzten, mobilisierten auch in Deutschland die "Grauen Wölfe" massiv und kündigten Attacken gegen Kurden an. Zu dieser Zeit erhielt Civan die Nachricht: "Die türkische Jugend wird für ihre Heimat sterben und töten." Am selben Tag erschien ein Wikipedia-Eintrag, der seinen Tod am 29. März meldete. Auch das brachte Civan zur Anzeige - und der Eintrag wurde gelöscht. Doch sein Vortrag an der Uni Köln wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt.
    Eren Güvercin | Islam- und Türkei-Experte
    Die Debatte über den sogenannten Wolfsgruß bei der Fußball-EM reißt nicht ab. Man müsse das Problem des Rechtsextremismus wahrnehmen, sagt Türkei- und Islamexperte Eren Güvercin. 08.07.2024 | 5:42 min
    Der Medizinstudent ist kein Einzelfall. Ein weiterer Fall, der vor vier Jahren Schlagzeilen machte, war ein geplanter Mordanschlag auf die österreichische Grünen-Politikern Berivan Aslan, die sich besonders mit den Netzwerken der "Grauen Wölfe" beschäftigt. Der Plan scheiterte und der Mann gestand den Behörden, dass er Aslan im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT ermorden sollte.
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    Wer gehört zu den Feindbildern der rechtsextremen Bewegung?

    Doch nicht nur Menschen kurdischer Herkunft werden zur Zielscheibe der "Grauen Wölfe." Zu ihren Feindbildern gehören: Linke, Nichtmuslime wie Christen, Juden und Jesiden - und Menschen armenischer, assyrischer und alevitischer Herkunft. Denn die "Grauen Wölfe" vertreten einen "ethnischen Nationalismus" und Panturkismus, der eine Vereinigung aller Turkvölker von Anatolien bis Zentralasien anstrebt.
    "Ihr großes Ideal ist der "Turan", ein großtürkisches Reich und die Eliminierung der politischen Gegner", erklärt der Politikwissenschaftler Kemal Bozay gegenüber ZDFheute. In ihrer panturkistischen Ideologie haben diese ethnischen und religiösen "Minderheiten keinen Platz".

    Immer wieder bedrohen Graue Wölfe auch hierzulande christlichen Minderheiten aus der Türkei, da im Jahr 1915 im Osmanischen Reich ein Völkermord an Armeniern, Assyrern, Aramäern und Pontos-Griechen verübt wurde, der vom Nachfolgestaat Türkei geleugnet wird.

    Auch der Konflikt um die Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, der im September 2020 neu entflammt war, hat den Hass auf Armenier neu angeheizt. In Frankreich zogen am 29. Oktober mehr als 200 Anhänger der Grauen Wölfe durch die Innenstadt Dijons, riefen "Allahu Akbar" und machten Jagd auf Armenier. Die Aktion war sogar vorher in sozialen Netzwerken angekündigt worden. Um der christlichen Minderheit zu demonstrieren, dass man an ihrer Seite stehe und sich für ihren Schutz einsetze, wurden die Grauen Wölfe in Frankreich verboten.

    Danach wurden auch armenische Familien in Deutschland mit dem Tod bedroht. "Wir stehen zu unseren Brüdern aus Aserbaidschan und wir werden nicht zulassen, dass ungläubige Hunde Armeniens in Deutschland in Frieden leben", heißt es in dem Brief. "Wir kennen euch, wir wissen, wo eure Kinder sind, Tag und Nacht."

    Quelle: ZDF

    Die Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Düzen Tekkal fordert im ZDFheute-Gespräch von der Politik ein hartes Vorgehen gegen die rechtsextreme Bewegung der "Grauen Wölfe" und von der Gesellschaft mehr Solidarität für die Betroffenen. Auch sie macht auf die Gefahr türkischer Rechtsextremisten aufmerksam und erhält Nachrichten von ihnen mit dem Wortlaut: "Wir werden deinen Körper in Einzelteile legen."

    Düzen Tekkal fordert Verbot der Grauen Wölfe und ihrer Symbole

    Tekkal beunruhigen nicht nur die Morddrohungen und das Zeigen der Wolfsgruß-Geste zahlreicher türkischer Fans, sondern auch die verharmlosenden Reaktionen aus ihrem Umfeld. "Jetzt mach das Thema nicht größer als es ist" und "die Geste hat nichts mit Rassismus zu tun", werde ihr entgegnet. Tekkal fragt sich:

    Wo bleibt die Solidarität, die ihr sonst einfordert? Wo seid ihr Antifaschisten, warum verteidigt uns keiner? Und warum positioniert sich unser Kanzler nicht?

    Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin und Journalistin

    Um das "Totschlagargument" auszuhöhlen, dass das Zeigen des Wolfsgrußes nicht schlimm sei, weil es kein Verbot gibt, müsse das Symbol und die Bewegung verboten werden, so Tekkal.

    Wir dürfen nicht mehr relativieren und wegducken. Ich will nicht mehr als mutig bezeichnet werden - ich will eine mutige Gesellschaft.

    Düzen Tekkal, Menschenrechtsaktivistin und Journalistin

    Widerstand türkischer Eltern
    :Armenier-Genozid: Streit um heiklen Schulstoff

    Obwohl der Bundestag den Genozid an den Armeniern anerkannt hat und er auch Unterrichtsstoff ist, versuchen türkische Eltern oft, das Thema zu torpedieren. Und sie haben Erfolg.
    von Ninve Ermagan
    Archiv: Eine Gruppe armenischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich sitzt 1915 in Syrien auf dem Boden
    mit Video

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