Der Genozid an den Armeniern - und der türkische Widerstand
Widerstand türkischer Eltern:Armenier-Genozid: Streit um heiklen Schulstoff
von Ninve Ermagan
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Obwohl der Bundestag den Genozid an den Armeniern anerkannt hat und er auch Unterrichtsstoff ist, versuchen türkische Eltern oft, das Thema zu torpedieren. Und sie haben Erfolg.
Eine Gruppe armenischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich 1915 in Syrien. Das Thema des Genozids an den Armeniern stößt in Deutschland an einigen Schulen auf den Widerstand türkischer Schüler.
Quelle: Library of Congress / dpa
Anastasias Schulleben (Name v. d. Red. geändert) begann 2020, zum Alptraum zu werden, als sie vor der Klasse einen Vortrag über den Genozid an den Christen im Osmanischen Reich hielt. Die Pontos-Griechin erzählte, wie ihre Vorfahren während des Ersten Weltkriegs im Auftrag der damals herrschenden diktatorisch-jungtürkischen Komiteeregierung deportiert, vertrieben und umgebracht wurden.
Mehr als 1,5 Millionen armenische, assyrische und pontos-griechische Christen wurden Opfer dieses Genozids, der bis heute von der Türkei immer noch geleugnet wird. Die sogenannten Pontos-Griechen lebten im Gebiet des Pontischen Gebirges und entlang der Küsten des Schwarzen Meeres in der heutigen Türkei. Auch sie waren von dem Völkermord betroffen.
Was Anastasia zum Zeitpunkt ihres Vortrags nicht wusste: Im Publikum tummelten sich türkische Rechtsextreme, die sie schon während des Referats verbal angriffen, als sie das Wort "Völkermord" in den Mund nahm. Sie berichtet, wie türkische Mitschüler sie verfolgten, sie in den Pausen umzingelten und als "griechische Nutte" beschimpften. Dabei sollen sie voller Stolz den Wolfsgruß, das Symbol der türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfe, gezeigt haben.
Völkermord im Unterricht stößt auf Widerstand
Der Bundestag hatte 2016, ungeachtet der Kritik der türkischen Regierung, die Armenien-Resolution verabschiedet - und damit die Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten als Genozid eingestuft. Die Resolution sieht auch vor, das Thema Völkermord in den Schulunterricht zu integrieren - jedoch ist er bis heute nur in Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt als verpflichtendes Thema im Lehrplan enthalten.
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Engagierte Lehrer, die das Thema im Unterricht zu behandeln versuchen, stoßen laut Martin Stupperich, dem ehemaligen Vorsitzenden des Niedersächsischen Geschichtslehrerverbandes, immer wieder auf massiven Widerstand türkischer Eltern. Diese würden sich nicht scheuen, den Lehrkräften "offen zu drohen" - deshalb sei die Bereitschaft unter Lehrern, den Genozid an den Armeniern zu unterrichten, gering. Türkischstämmige Schüler stellen laut Stupperich einen "erheblichen Prozentsatz der Klassenpopulation dar".
Türkischer Vater drohte Lehrerin mit Anzeige
Immer wieder knicken Bildungseinrichtungen vor türkischen Genozid-Leugnern ein. Die Erfahrung machte auch eine assyrische Lehrerin, als sie eine Assyrisch-AG gründen wollte, um etwas über die Geschichte der Assyrer, eines der ältesten christlichen Völker, zu erzählen. Daraufhin schlugen ein türkischstämmiger Schüler und sein Vater Alarm. Der Vater warf der Schule Rassismus vor und drohte der Lehrerin mit einer Anzeige. Auch im Elternbeirat sollen sich türkischstämmige Genozid-Leugner zusammengefunden haben, um die Rassismusvorwürfe gegen die Lehrerin zu bestärken.
Der Schüler soll von seinen Eltern gedrängt worden sein, der Schulleitung zu erzählen, dass er wegen der Lehrerin von deutschen Mitschülern gemobbt werde. "Ihr Scheiß-Türken habt damals alle Christen umgebracht", hätten sie ihm angeblich auf dem Schulhof nachgerufen. Eine Lüge, wie er später zugegeben haben soll, berichtet die assyrische Lehrerin. Ihr Schulleiter stand demnach kurz davor, sie zu versetzen.
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Deutsche Mitverantwortung beim Genozid?
Doch warum gehört das Thema überhaupt in den deutschen Schulunterricht? "Der Genozid an den Armeniern ist Teil deutscher Geschichte, denn das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren Bündnispartner während des Erstes Weltkriegs", erklärt Roy Knocke vom Lepsiushaus in Potsdam, einer Forschungs- und Bildungsstätte, die sich vor allem mit dem Völkermord an den Armeniern beschäftigt.
Knocke spricht deshalb von einer "qualifizierten deutschen Mitverantwortung."
Das Lepsiushaus bietet seit seiner Gründung im Jahre 2011 auch eine Weiterbildung zum Armenier-Genozid für Lehrkräfte in Berlin und Brandenburg an. Knocke erklärt, dass es immer wieder Versuche türkischer Organisationen gegeben habe, "dieses Projekt zu torpedieren".
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Großer Einfluss türkischer Vereine
Auf türkischen Widerstand stößt auch die Organisation "Save Our Souls - 1915.de e.V.", die sich unter anderem für eine Aufarbeitung des Völkermords an ihren Vorfahren einsetzt. Petrus Afrem-Barsom beobachtet, dass türkische Vereine "sehr viel Einfluss" haben und Veranstalter dem Druck der Nationalisten oftmals nachgeben. So wurde die Organisation auf Bildungsmessen und anderen Veranstaltungen mehrfach aufgefordert, das Thema Genozid nicht anzusprechen.
Ständig werde mehr Rücksicht darauf genommen, die Gefühle der Türken nicht zu verletzen, "als an das zu erinnern, was den Millionen Opfern im Osmanischen Reich passiert ist".
Der 24. April gilt als Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern. An diesem Tag im Jahr 1915 wurden Hunderte armenische Intellektuelle, Führer und Vertreter in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) von den osmanischen Behörden verhaftet und später ermordet. Die Verhaftungen markierten den Beginn einer breit angelegten Kampagne der Deportation, Vertreibung und Ermordung von den christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs. Schätzungsweise 1,5 - 2 Millionen Armenier, Assyrer und Pontos-Griechen wurden dabei systematisch ermordet, deportiert und vertrieben. Das Ziel war es, aus dem multi-ethnisch geprägten Reich einen homogenen türkisch-muslimischen Staat zu schaffen.
Die Türkei lehnt den Begriff "Völkermord" vehement ab und argumentiert, dass es sich um Kriegsfolgen und nicht um gezielte Auslöschung gehandelt habe. Zahlreiche Länder haben den Völkermord jedoch offiziell anerkannt, darunter Frankreich, Deutschland, Russland und die USA.
Das Deutsche Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg militärischer Bündnispartner des Osmanischen Reichs. Trotz eindeutiger Kenntnisse über das Vorgehen der Jungtürken gegen die armenische Bevölkerung unternahm es jedoch keinen Versuch, diese zu stoppen. Zu groß war die Angst, den Verbündeten zu verlieren. Die deutsche Regierung hat sich in den letzten Jahren bemüht, die historische Verantwortung anzuerkennen. Im Jahr 2016 beschloss der Deutsche Bundestag, die Massaker an den Armeniern offiziell als Völkermord anzuerkennen. Dies war ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Geschichte und ein Ausdruck des Bemühens, die Verantwortung anzuerkennen.