Interview
Höchststand bei Drogentoten:Experte: Wesentliche "Gegenreaktionen" fehlen
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Die Zahl der Drogentoten ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Suchtforscher Stöver erklärt, woran die Drogenpolitik scheitert - und welche Rolle die Taliban spielt.
2.227 Menschen starben laut aktuellem Suchtbericht im vergangenen Jahr in Deutschland am Konsum illegaler Drogen – so viele Menschen wie noch nie zuvor. 29.05.2024 | 1:29 min
Es ist die höchste Zahl, die je registriert wurde: 2.227 Menschen sind im vergangenen Jahr an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben. Rund zwölf Prozent mehr als im Vorjahr - und das seien nur die bekannten Fälle, erklärt der Bundesdrogenbeauftragte Burkart Blienert bei der Bekanntgabe der Zahlen am Mittwoch. "Hinter den blanken Zahlen verbirgt sich unendliches Leid für die Betroffenen, ihre Familien, das ganze Umfeld."
Schuld an der Entwicklung sei auch die Politik, meint der Sozialwissenschaftler Heino Stöver, der das Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences leitet. Im ZDFheute-Interview erklärt er, welche Lösungen die Wissenschaft bieten könnte.
Der Anteil der Drogentoten in Deutschland steigt unter anderem wegen Crack deutlich an. Die deutsche Aidshilfe hat nun zusammen mit dem Bundesdrogenbeauftragten Handlungsempfehlungen zum steigenden Crack-Konsum herausgegeben.24.04.2024 | 1:56 min
ZDFheute: Herr Stöver, die Zahl der Drogentoten hat in diesem Jahr einen traurigen Rekord erreicht. Überrascht Sie das?
Heino Stöver: Nein, leider überhaupt nicht. Diesen Anstieg sehen wir schon seit 20 Jahren. Was wir nicht sehen, sind die entscheidenden Gegenreaktionen aus der Politik. Von da kommen viele Lippenbekenntnisse, aber die evidenz-basierten und erprobten Instrumente werden viel zu wenig eingesetzt.
ZDFheute: Augenscheinlich hat sich aber auch der Drogenmarkt verändert. Die Zahl der Toten durch Heroin ist leicht gesunken, dagegen sterben immer mehr Menschen beim Konsum von Crack und Kokain. Wieso?
Stöver: Crack gibt es mittlerweile überall, von Frankfurt bis Paderborn. Vor wenigen Jahren gab es die Droge nur in einzelnen Hotspots, mittlerweile wird sie selbst in kleineren Städten konsumiert. Die Menschen vernachlässigen sogar das Essen und Trinken - und sie unterschätzen Wechselwirkungen mit anderen Drogen. Aber auch der Heroinmarkt ist heute ein anderer.
… ist einer der bekanntesten Experten zur deutschen Drogenpolitik. Seit 2009 leitet er das Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences und untersucht unter anderem die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte. Daneben berät Stöver weltweit Institutionen und NGOs beim Aufbau der Drogenhilfe.
ZDFheute: Inwiefern?
Stöver: Die Taliban haben den Mohnanbau in Afghanistan und damit den Rohstoffanbau für Heroin auf ein Minimum gedrosselt. Und dieser Ausfall wird mehr und mehr durch synthetische Opioide ersetzt. Die sind relativ leicht herstellbar mit Chemikalien, zum Beispiel aus China.
ZDFheute: Eines bleibt bei der Statistik der Drogentoten in jedem Jahr gleich: die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Rund 80 Prozent der Drogentoten sind Männer. Woran liegt das?
Stöver: Das hängt mit unserem Blick auf die Maskulinität zusammen. Männer fahren auf das Risikomanagement ab: Sie wollen sich mit Konsum beweisen, Risikobeherrschung ist Teil des Rollenverständnisses.
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ZDFheute: Was muss sich im Umgang mit dem Konsum verändern?
Stöver: Es gibt viele Maßnahmen - und die sind kein Hexenwerk, sondern umsetzbar. Durch das sogenannte Drug-Checking könnten Konsumierende ihre Substanzen analysieren lassen. Daneben brauchen wir mehr Drogenkonsumräume. Das sind im Ernstfall die sichersten Orte, weil die Mitarbeitenden bei einer Überdosis sofort reagieren können.
ZDFheute: Und sperren sich dagegen: Nur die Hälfte der Bundesländer führt entsprechende Einrichtungen - trotz der Rufe aus den Drogenhilfen.
Stöver: Man muss viel Frustration aushalten. Wir können die wissenschaftlichen Belege den Politikern nur immer wieder an die Hand geben und Mythen entkräften.
Aber es gibt Fortschritte: Mit Schleswig-Holstein steht ein weiteres Bundesland kurz davor, den ersten Konsumraum zu eröffnen.
Das Interview führte Julian Schmidt-Farrent.
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