Der mangelnde Glasfaserausbau hemmt in vielen Bereichen die Digitalisierung.
Quelle: Matthias Balk/dpa
Digital first - dafür steht
Volker Wissing: Der
FDP-Mann hat sich das Digitale ganz vorn an sein Ministerium schreiben lassen. "BMDV" lautet die Abkürzung für das Haus, dem er vorsteht: "Bundesministerium für Digitales und Verkehr". Klares Signal, klare Prioritäten: Endlich ist Schluss mit dem Tempolimit für die Digitalisierung in Deutschland. So liest sich das.
Heute Nachmittag aber, als Wissing in der Haushaltsdebatte das Wort ergriff, klang er ganz anders. Da spielte das Digitale nur eine untergeordnete Rolle. Sieben Minuten lang sprach der Minister. Nicht mal zwei widmete er der Digitalisierung.
Digitalisierung, Flugchaos, Zugausfälle: Für Volker Wissing stapeln sich die Probleme. 06.07.2022 | 15:13 min
Unter anderem für einen Seitenhieb in Richtung der Unionsparteien: Er werde nicht den Fehler der Vorgängerregierung machen, so Wissing, "von Flugtaxis zu schwadronieren, in denen wir uns morgens auf dem Weg zur Arbeit grüßen".
Digitale Weichenstellung? Lange verschlafen
Wissing trifft einen wunden, weil wahren Punkt: Doro Bär, in der Großen Koalition Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt, hatte in einem Interview von
Flugtaxis als Vision gesprochen. Erstaunlich realitätsfremd für eine Spitzenpolitikerin der CSU, die im Zweiklang mit der CDU fast zehn Jahre lang die Digitalpolitik der Regierung verantwortete.
Einer Bundesregierung, die maßgeblich das Stellen entscheidender Weichen auf dem Weg zu einer modernen, digitalisierten Nation verschlief. Ins Bild passt, dass man jahrelang propagierte, "Weltklasse" sein zu wollen. Da ist die
Ampel demütiger: Unter die Top Ten innerhalb der EU-Staaten will sie Deutschland bringen. Aktuell belegt Deutschland Platz 13.
Wissings Attacke auf
CDU und
CSU ist also zwar berechtigt - nur legt er damit gleichzeitig auch den Finger in eine klaffende Wunde der Ampelregierung. Auch sie entschied sich gegen ein eigenständiges Digitalministerium und ordnete das Thema wieder dem Verkehrsministerium zu.
Digitalisierung ist ein Querschnittsthema
Das aber genug mit dem Themenblock "
Verkehr", mit maroden Brücken, dem ewigen Problembären namens
Deutscher Bahn und nicht zuletzt dem ja ebenfalls drängenden Thema
E-Mobilität zu tun hat. Die brandaktuell hinzugekommene Suche nach einer Lösung für die Nachfolge des 9-Euro-Ticket sei hier gar nicht erst erwähnt. Allein die Länder für die gemeinsame Finanzierung mit an Bord zu kriegen, dürfte bereits Arbeit für eine Person genug sein.
Digitalisierung ist ein Querschnittsthema. Das ist richtig. Der Gesundheitssektor muss digitalisiert werden. Die Pflege. Schulen müssen endlich ans Netz, was aber ohne ausreichend qualifizierte Lehrer nicht funktionieren wird. Der Staat muss seinen Bürgern den Antrag fürs Kindergeld, die Ummeldung nach einem Umzug endlich digital ermöglichen. Kurz: Digitalisierung geht uns alle an, auch alle Ministerinnen und Minister.
Ein Ministerium, zwei Mammutaufgaben
Und trotzdem wäre es erstens ein starkes politisches Signal gewesen, diesem so schmerzhaft spürbar vernachlässigten Thema endlich ein eigenes Ministerium zu widmen - und zweitens kann kein Minister, keine Ministerin zwei Mammutaufgaben zugleich stemmen. Und sei er noch so fleißig, wie man Wissing nachsagt.
"Die Zukunft ist digital" - ein Trugschluss
Da hilft auch die rund 50 Seiten starke "Digitalstrategie" wenig, die die Bundesregierung vergangene Woche vorstellte. Ob man überhaupt wirklich von einer Strategie sprechen kann, sei nämlich dahingestellt. Denn das Budget steht noch nicht.
Ein Digitalminister mit exklusivem Ressortzuschnitt hätte womöglich auch die Kapazitäten frei, sich jetzt in den Kampf ums Geld zu werfen. "Die Zukunft ist digital", sagte Wissing heute zum Ende seiner Rede. Ein tragischer Trugschluss. Sie ist Gegenwart. Allerdings noch nicht in Deutschland. Und die Aussichten sind trübe.