Fall Wilstedt: Warum Einwandern nicht gleich Einwandern ist
Pflegehelfer aus Kolumbien:Warum Einwandern nicht gleich Einwandern ist
von Svenja Bergerhoff
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Zehn kolumbianischen Pflegehelfern in Niedersachsen droht die Abschiebung. Trotz guter Integration. Für das Pflegeheim wäre das einschneidend. Aber wie kommt es überhaupt dazu?
Pflegeheim in Deutschland
Quelle: dpa
In Deutschland sind Asyl- und Erwerbsmigration strikt voneinander getrennt, um falsche Anreize zu vermeiden. Damit zum Beispiel nicht versucht wird, in großem Stil über das Asylsystem in den Arbeitsmarkt zu gelangen und so ein Bleiberecht zu erhalten.
Das heißt aber auch: Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt und Asyl beantragt, kann nicht einfach in das System für Arbeitskräfte wechseln, sobald ein Job vorhanden ist.
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"Spurwechsel" zwischen Erwerbsmigration und Asyl ist ein Problem
Ein sogenannter "Spurwechsel" zwischen den Einwanderungssystemen ist nur in wenigen Ausnahmefällen möglich.
Wenn Asylsuchende vor dem Stichtag 31.07.2017 nach Deutschland gekommen sind, nicht straffällig wurden und einen Job haben.
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Letzteres führt zu einer Ausbildungsduldung. Sie ist oft der vielsprechendste Weg, um vom Asylsystem in das System für Arbeitskräfte zu gelangen.
Wollen Menschen direkt über den Arbeitsmarkt nach Deutschland kommen, so müssen sie schon vor der Einreise und bei der Beantragung des Visums höhere Anforderungen erfüllen; beispielsweise schon über Deutschkenntnisse verfügen.
Migranten haben oft falsche Informationen
Vielen Menschen, die nach Deutschland kommen, sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Einwanderungssystemen nicht bewusst. Oft herrscht Unverständnis, wenn Asylanträge abgelehnt werden und die Ausreise angeordnet wird. Trotz Job und guter Integration.
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So auch bei einem Fall im niedersächsischen Wilstedt. Ein Pflegeheim für Demenzerkrankte hat auch aufgrund des Pflegenotstands zehn Menschen aus Kolumbien als Pflegehelfer, also als ungelernte Pflegekräfte, eingestellt. Die Zusammenarbeit läuft gut. Doch dann erhielten die ersten Ablehnungsbescheide für ihre Asylanträge, müssten eigentlich ausreisen.
Oliver Grimm, Pressesprecher des niedersächsischen Innenministeriums, nennt die Gründe: "Es ist offenbar so, dass in Kolumbien Fehlinformationen kursieren, unter welchen Voraussetzungen man in Deutschland arbeiten und leben kann."
Integration spielt im Asylverfahren keine Rolle
Geflüchtete aus Kolumbien haben in Deutschland grundsätzlich eine sehr geringe Chance auf Asyl. Die Anerkennungsquote liegt unter einem Prozent. Denn, so teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Anfrage mit, Kolumbien gelte als "stabile Demokratie". Auch wenn Geflüchtete teils angeben, in ihrem Heimatland von Guerillas bedroht zu werden.
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Zudem, erklärt das BAMF, stünden beim Asylverfahren andere Faktoren im Fokus: "Das Bundesamt prüft im Asylverfahren jedoch ausschließlich, ob und welche Gefahr dem Asylsuchenden bei Rückkehr in sein Herkunftsland droht."
Weiter heißt es dort: "Integrationsleistungen kann und darf das Bundesamt bei der Entscheidung im Asylverfahren nicht berücksichtigen. Integrationsleistungen im Einzelnen sowie auch berufliche Tätigkeiten haben bei der Prüfung des Asylantrags im Hinblick auf die Gewährung von asylrechtlichem Schutz daher keinen Einfluss."
Abschiebungen könnten Aus für Pflegeheim bedeuten
Die Situation, wie sie im Pflegeheim in Wilstedt vorherrschte, ist für Heim, Angehörige der Bewohner und die Hilfskräfte schwierig.
Im schlimmsten Fall müsste das Pflegeheim seine Tore ganz schließen. Doch fest steht, die Kolumbianerinnen und Kolumbianer sind über den falschen Weg nach Deutschland gekommen, haben das falsche System benutzt.
Die letzte Hoffnung: Ein Einspruch und die Prüfung, ob wenigstens für einige der Menschen aus Kolumbien Härtefallregelungen oder Ausnahmen für den Spurwechsel in die Erwerbsmigration gelten könnten.
Svenja Bergerhoff ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Niedersachsen.
Quelle: ZDF
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