AfD-Chef bei "Lanz": Hitzige Debatte mit Chrupalla
AfD-Chef bei "Lanz":Hitzige Debatte mit Chrupalla
von Felix Rappsilber, Pierre Winkler
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Der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla war Gast bei Markus Lanz. Seine Aussagen sorgten für Kritik auf allen Seiten. Besonders scharfe Worte fand Historiker Michael Wolffsohn.
Zur Programmatik und zu den wirtschaftspolitischen Konzepten der AfD sowie zum zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und zur Bedeutung pluralistischer Werte für die Gesellschaft07.12.2023 | 77:05 min
In einer entschiedenen Gegenrede legte sich Michael Wolffsohn am Donnerstagabend in der Sendung von Markus Lanz mit Tino Chrupalla an. "Das Erschütternde" sei "die Inkompetenz Ihrer Analyse, die keine Analyse ist", sagte der Historiker zum Vorsitzenden der AfD.
Jemandem, "der so inkompetent in der Wahl der Begriffe ist", wolle Wolffsohn das Gemeinwesen nicht übertragen. Chrupalla sei nicht in der Lage, die Wirklichkeit intellektuell zu erfassen.
Historiker Wolffsohn weist Chrupalla zurecht
Chrupalla hatte über den Terror der Hamas gegen Israel gesagt: "Der Angriff der Hamas auf Israel ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstoten."
Wolffsohn wandte ein: "Sie sprechen von einem 'Angriff'. Zwischen einem allgemeinen Angriff und einem Terrorüberfall, der eine Blut- und Mordorgie gewesen ist, gibt es einen Unterschied." Ein "Angriff" setze "das Vokabular eines staatlichen Akteurs voraus".
Die AfD-Spitze hatte lange gebraucht, um sich zum Terrorangriff am 7. Oktober zu äußern. "Ich halte es auch in solchen Situationen für ratsam, nicht gleich aus sich herauszusprudeln und als verantwortungsvoller Politiker, wie wir es sind, erstmal die Lage zu checken", sagte Chrupalla bei Lanz.
Wolffsohn kritisierte hingegen: "Sie flüchten sich in Floskeln hinein." Das beobachtete der Historiker auch bei anderen Themen, zu denen sich Chrupalla äußerte.
Kontroverse beim Thema Migration
Zuvor war es in der Sendung zu einer kontroversen Debatte rund um das Thema Migration gekommen. Chrupalla sprach sich gegen die Abwerbung ausländischer Fachkräfte aus. "Für mich ist das moderner Kolonialismus", sagte er mit Blick auf Menschen, die etwa aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland kämen.
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"In der Form, dass wir anderen Ländern die Fachkräfte abwerben, die sie selber in diesen Ländern bräuchten", sei die Perspektivlosigkeit "noch viel größer", wenn "dort Ärzte weggehen, wenn dort Kindergärtner weggehen, Pflegekräfte weggehen". Das sei "keine Politik, die Nachhaltigkeit erzeugt".
Markus Lanz hielt dagegen: "Es ist mitnichten so, dass wir den Leuten nur ihre Arbeitskräfte und Fachkräfte wegnehmen."
Ausländische Fachkräfte "kommen mit Know-how zurück"
Davon profitierten dann auch die jeweiligen Heimatländer: "Die Leute kommen dann auch wieder zurück, kommen mit dem entsprechenden Know-how zurück." Migration von Fachkräften sei keine "traurige Einbahnstraße in unsere Richtung", vielmehr gebe es "eine große gegenseitige Befruchtung", so Lanz.
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Mit Blick auf den deutschen Fachkräftemangel sagte Chrupalla: "Wir haben eine millionenfache Zuwanderung und das Problem ist nicht gelöst." Zudem behauptete er, dass es eine "Zuwanderung in die Sozialsysteme" gebe.
Chrupalla-Aussage zum Bürgergeld im Check
Die Aussage: Im Zuge der Migrationsdebatte in der Sendung von Markus Lanz behauptete der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla: "60 Prozent der Bürgergeld-Empfänger sind Ausländer".
Die Faktenlage: Die Bundesagentur für Arbeit stellt zwar keine Angaben zur Anzahl der Bürgergeld-"Empfänger" zur Verfügung - dafür aber zur Anzahl der Bürgergeld-Berechtigten. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen sei aber so gering, dass er statistisch keine Rolle spiele, teilte die Behörde ZDFheute auf Anfrage mit.
Dabei zeigt sich: In Deutschland gibt es insgesamt 5,5 Millionen Bürgergeld-Berechtigte. Mehr als die Hälfte davon sind deutsche Staatsbürger: 2,9 Millionen bzw. 52,6 Prozent. (Stand August 2023). Die restlichen 47,4 Prozent sind keine deutschen Staatsbürger. Die größte Gruppe stellen dabei Menschen aus der Ukraine dar - sie machen etwa ein Viertel der Leistungsberechtigten aus. Geflüchtete ukrainische Staatsbürger haben seit dem russischen Angriffskrieg Anrecht auf Bürgergeld in Deutschland.
Ähnlich ist das Bild bei den ausgezahlten Geldleistungen: Mehr als 53,7 Prozent des ausgezahlten Bürgergelds fließt laut Bundesagentur für Arbeit an deutsche Staatsbürger.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, widersprach mit Blick auf die letzten 15 Jahre: "Deutschland ist der große Gewinner der Migration von anderen Europäern nach Deutschland gewesen." Ohne diese Zuwanderung "hätten wir den Wirtschaftsboom in den 2010er-Jahren nicht gehabt, ohne diese Zuwanderung hätten wir den Wohlstand nicht".
Der Fall Björn Höcke
Ein weiteres Thema der Sendung war auch die "fortschreitende Radikalisierung" der AfD, wie die "Zeit"-Journalistin Anne Hähnig es nannte. Sie machte das Thema vor allem an der Personalie Björn Höcke fest, einem Politiker, der laut Gerichtsurteil Faschist genannt werden darf, aus dem Landesverband Thüringen, der als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.
So fragte sie Chrupalla: "Björn Höcke ist ein Landesvorsitzender wie jeder andere für Sie?" Chrupalla antwortete: "Absolut."
Der Verfassungsschutz in Sachsen hat den Landesverband der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Was das für die Partei bedeutet.