Politologe Mounk: "Wir erleben eine demokratische Rezession"

Interview

Politologe zu Demokratiekrise:USA steuern auf "ernste Verfassungskrise zu"

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Der Politologe Yascha Mounk warnt vor der Gefährdung demokratischer Errungenschaften. Demokratien müssten sich auf ihre Stärken besinnen. Populisten sähen dann alt aus.

Bremen: Ein Teilnehmer einer Kundgebung unter dem Motto "Zusammen stabil, wir bleiben laut!" auf dem Domshof in Bremen hält ein Plakat mit der Aufschrift "Demokratie hat keine Alternative".
"Demokratie hat keine Alternative": Proteste in Bremen gegen den Rechtsruck.
Quelle: dpa

ZDFheute: Lebendige Demokratien stehen weltweit unter Druck. Manch einer sieht darin gar ein "Auslaufmodell". Wie ist Ihr Blick darauf?
Yascha Mounk: Ich mache mir große Sorgen, weil viele Errungenschaften der Demokratie gefährdet sind - von der Meinungsfreiheit bis zur insgesamt hohen Lebensqualität. Seit zwei Jahrzehnten nimmt die demokratische Freiheit global betrachtet ab, auch in vermeintlich sicheren Ländern. Trotzdem darf man nicht zu defätistisch werden:

Die Welt ist heute demokratischer als vor 50 Jahren.

Politologe Yascha Mounk

ZDFheute: Aktuellen internationalen Studien zufolge kommt es zu einem "Rückgang der globalen Freiheit" auf breiter Front und auch zu einem Verlust an Demokratiequalität. Was ist da los?
Mounk: Wir erleben eine demokratische Rezession. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt: Demokratie verläuft in Wellen. Der Politikwissenschaftler Samuel Huntington hat das verdeutlicht: Nach der Französischen Revolution, zu Beginn des 20. Jahrhunderts und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten zahlreiche Länder eine Demokratisierungswelle, gefolgt von Rückschlägen. Es ist ein reges Auf und Ab.

Yascha Mounk
Quelle: Imago

... ist ein deutsch-amerikanischer Politikwissenschaftler und Publizist, der als Professor für Internationale Beziehungen an der Johns Hopkins University in den USA lehrt. Er ist bekannt für seine Arbeiten zur Krise der Demokratie. Mounk ist auch Gastgeber des Podcast "The Good Fight", in dem er über aktuelle politische Themen diskutiert.

ZDFheute: Sie sprechen von einer Demokratie-Rezession, also von konjunkturellem Niedergang. Wohin bewegt sich das Ganze weiter?
Mounk: Die Frage ist: Sind wir gerade in einer besonders hohen Rückwärtswelle, die aber insgesamt Teil eines bekannten Musters von zwei Schritten vorwärts und einem Schritt zurück ist? Oder ist dieser Rückwärtsdrall etwas anderes? Ich glaube, es ist verfrüht, das zu beurteilen.
Mich besorgt aber, dass wir diese Rückwärtsrolle zum Beispiel nicht nur in Kenia, Thailand und Tunesien sehen, deren Demokratien noch nicht gefestigt waren. Sondern auch in Ländern von Ungarn über Indien bis in die USA, wo wir angenommen haben, dass die Demokratie verfestigt sei.
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ZDFheute: US-Präsident Donald Trump scheint mit der Axt auf das Fundament der US-Demokratie loszugehen. Was geschieht da gerade?
Mounk: Wir sehen einen US-Präsidenten, der die Grundregeln und Normen der Demokratie mit Füßen tritt. Gleichzeitig haben die USA aber sehr viele Vetostellen, um eine Diktatur zu verhindern.
ZDFheute: Obwohl bereits einige Richter Trumps Treiben Einhalt geboten haben, zeigt sich der US-Präsident weiter willens, keinen Stein auf dem anderen zu lassen …
Mounk: Die USA steuern eventuell relativ schnell auf eine ernste Verfassungskrise zu. Das wäre in der jüngeren Geschichte Amerikas ein Novum.
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ZDFheute: Weltweit betrachtet stehen viele Demokratien unter Druck. Wo haben sich demokratische Kräfte aus Ihrer Sicht zuletzt entgegen dem Trend entfalten können?
Mounk: Brasilien und Polen sind Beispiele, wo der Machtwechsel von autoritär gesinnten Regierungen hin zu demokratisch orientierten gelungen ist. Wir sehen auch, dass einige der Populisten, die es geschafft haben, sehr viel Macht in den eigenen Händen zu konzentrieren, unpopulär werden. So verlieren etwa Viktor Orbán in Ungarn und Recep Tayyip Erdogan in der Türkei an Beliebtheit.
ZDFheute: Angriffe auf Demokratien von außen werden vielfach thematisiert. Aber woran leiden Demokratien im Innern häufig?
Mounk: Damit Demokratien erfolgreich sind, müssen sie wirtschaftlich prosperieren und den Bürgern wichtige Leistungen bieten - ordentliche Renten, funktionierende Gesundheitssysteme und gute Schulen. Es ist auch entscheidend, dass die Meinungen der Bürger von der Politik gehört und reflektiert werden.
Ein Beispiel: In Europa wünschen sich viele Menschen seit Jahren mehr Kontrolle über die Grenzen, was von moderaten politischen Parteien oft ignoriert wurde. Dies führt dazu, dass mehr und mehr Bürger sich jenen Parteien zuwenden, die diese Kontrolle versprechen.

Demokratische Kontrolle über Einwanderung und Konsequenzen bei Regelverstößen sind entscheidend, um eine grundlegende Akzeptanz in breiten Teilen der Bevölkerung für Zuwanderung zu schaffen.

Politologe Yascha Mounk

Das Interview führte Marcel Burkhardt.

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