Annexionsplan für Guyana: Venezuela "macht sich lächerlich"

    Annexionsplan für Guyana:Venezuela "macht sich lächerlich"

    |

    Der venezolanische Ex-Diplomat Garavini di Turno glaubt nicht an Maduros Plan, Teile des Nachbarlands Guyana zu annektieren. Venezuela mache sich "auf der Weltbühne lächerlich".

    Im Norden Südamerikas könnte ein neuer Krisenherd entstehen. Nach einer umstrittenen Volksabstimmung hat Venezuelas Präsident Nicolás Maduro die Annexion von rund zwei Dritteln des Staatsgebietes des Nachbarlandes Guyana angekündigt. Die betroffene Region Esequibo verfügt über riesige Ölvorkommen und ist mit den USA verbündet. Venezuela wird von Russland und China unterstützt.
    Ein Angriff Venezuelas auf seinen Nachbarn Guyana gilt dennoch als unwahrscheinlich. Die natürliche Grenze ist kaum passierbar. Venezuelas Truppen müssten durch Brasilien marschieren. Die südamerikanischen Staaten und auch China mahnen Maduro zur Zurückhaltung. Die Krise ist auch Thema im UN-Sicherheitsrat.
    Zu den Hintergründen hat ZDFheute mit Sadio Garavini di Turno gesprochen. Er war in den 1980er Jahren venezolanischer Botschafter in Guyana und lebt in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Der Ex-Diplomat und Politikwissenschaftler hält Maduros Ankündigung für ein "innenpolitisches Manöver", um vor den Wahlen im kommenden Jahr von der desaströsen Lage im eigenen Land abzulenken und die Opposition zu schwächen.
    ZDFheute: Mehrere venezolanische Experten haben unsere Interviewanfrage abgelehnt, weil sie Angst vor Repressionen haben. Wie steht es um Ihre Sicherheit?
    Sadio Garavini di Turno: Nach dem Referendum [am 3. Dezember] wurden einige Oppositionelle, die Maduros Politik kritisiert haben, festgenommen. Das zeigt einmal mehr, worum es Maduro eigentlich geht. Er will die Opposition ausschalten. Für diejenigen, die in der Opposition politisch aktiv sind, ist es gefährlich, sich öffentlich zu äußern. Ich bin schon in Rente und stehe nicht in der Öffentlichkeit, deshalb kann ich mit Ihnen sprechen."

    Sadio Garavini

    • war von 1980 bis 1984 venezolanischer Botschafter in Georgetown, Guyana
    • befasste sich nicht nur als Diplomat, sondern auch als Politikwissenschaftler mit dem Esequibo-Konflikt
    • ist Universitätsdozent in Caracas

    ZDFheute: Was beabsichtigt Maduro mit seinen Drohungen gegen das Nachbarland Guyana?
    Garavini di Turno: Es ist offensichtlich, dass das ein innenpolitisches Manöver ist, um von der desaströsen Lage im eigenen Land abzulenken und die Opposition zu schwächen. Der Kandidatin María Corina Machado ist es gerade gelungen, die Opposition zu einen. Jetzt wurden Haftbefehle gegen ihr Team verhängt, unter dem Vorwand, sie würden Guyanas Interessen vertreten und damit Landesverrat begehen.
    ZDFheute: Nach dem Referendum hat Maduro aber konkrete Schritte angekündigt, die auf eine Annexion der Region hindeuten. Wie ist das einzuordnen?
    Garavini di Turno: Maduro hat eine neue Landkarte präsentiert, auf der das umstrittene Gebiet als Bundesstaat Venezuelas verzeichnet ist. Er hat angekündigt, dass ein venezolanischer General für die Verteidigung dieses Bundesstaats verantwortlich sei und dass der staatliche Ölkonzern PDVSA in die Ölförderung in der Region investieren solle. Der Ölkonzern bräuchte dafür Abertausende Dollar - woher soll das Geld kommen, wenn selbst die Ölförderung in Venezuela wegen fehlender Investitionen stillsteht? All das zeigt:

    Was die internationalen Folgen angeht, ist diese Eskalation nichts als Fantasie. Wir machen uns damit auf der Weltbühne lächerlich.

    ZDFheute: Die Gefahr eines Krieges halten Sie also für gering?
    Garavini di Turno: Ich glaube nicht, dass es einen Militäreinsatz geben wird. Die venezolanischen Streitkräfte wären gar nicht in der Lage, einen ernsthaften Krieg zu führen, und das Risiko wäre viel zu groß. Hinzu kommt die Logistik. Es gibt keine Straßen [zwischen Venezuela und Guyana]. Der einzige Landweg führt über Brasilien.
    ZDFheute: Welche Interessen haben China und Russland, die traditionell an Venezuelas Seite stehen?
    Garavini di Turno: China hat bereits gesagt, dass es sich nicht einmischen will und dass der Konflikt friedlich gelöst werden soll. Russland hat sich noch nicht geäußert. Ich habe da einen Verdacht: Maduro hat angekündigt, noch in diesem Monat nach Russland zu reisen. Möglicherweise will er bei der Gelegenheit Russland um Unterstützung bitten, nach dem Motto: 'Ihr macht das Gleiche in der Ukraine.'
    Ab Januar wird Guyana einen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben und es wird den Fall auf den Tisch bringen. Ein Veto Russlands gegen mögliche Beschlüsse des Sicherheitsrats wäre für Venezuela ideal. Aber noch ist unklar, wie Russland sich verhalten wird.
    Das Interview führten Anne-Kirstin Berger und Christoph Röckerath.

    Mehr zum Thema