Abtreibung in den USA: Immer mehr Abtreibungspillen per Post
Analyse
USA: Roe v. Wade:Letzte Option: Abtreibungspille per Post
von Anna Kleiser, Washington D.C.
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Wer in Texas eine Abtreibung braucht, hat zwei Optionen: den Staat verlassen oder Pillen per Post bestellen. Letzteres gilt medizinisch als sicher, ist rechtlich eine Grauzone.
Aktivisten protestieren vor dem Obersten Gerichtshof in Washington D.C. für das Recht auf Abtreibung in den USA. In vielen Bundesstaaten wird der Zugang zu Abtreibung zunehmend verboten.
Quelle: dpa
Eine von drei Frauen in den USA hat keinen direkten Zugang zu Abtreibung mehr. Tatsächlich sind Abbrüche aber weiterhin auch in Staaten möglich, in denen sie verboten sind. Der einzige Weg: Die Abtreibungspille per Post.
Aus Sorge vor rechtlichen Konsequenzen gehen viele Schwangere nicht zum Arzt, sondern suchen online nach Informationen. Kommentarspalten bei TikTok sind voller Fragen:
"Wie viel Blutung ist normal?", "Wie lange muss ich zwischen den Tabletten warten?", "Bleibt meine Adresse geheim?", "Woher weiß ich, dass es funktioniert?", "Woher weiß ich, ob der Anbieter seriös ist?"
Abtreibungsrecht in den USA (Karte)
ZDFheute Infografik
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Wie der Umweg der Abtreibung über die Post funktioniert
Seit viele republikanische Bundesstaaten Abtreibung verbieten oder stark einschränken, ist der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch zur häufigsten Methode geworden. Er und macht inzwischen mehr als 60 Prozent aller Abtreibungen in den USA aus.
Neben operativen Eingriffen kann eine Schwangerschaft auch mit Medikamenten abgebrochen werden. Dazu werden meist zwei Medikamente in Pillenform eingesetzt: Mifepriston und Misoprostol. Mifepriston blockiert das Hormon Progesteron, was dafür sorgt, dass sich der Embryo aus der Gebärmutter herauslöst und innerhalb von 36 bis 48 Stunden abgeht. Misoprostol wird nach dieser Zeit eingenommen. Das zweite Medikament weicht den Muttermund und löst Wehen aus. Embryo und Schwangerschaftsgewebe werden dann abgestoßen. Die Blutung ähnelt in der Regel und gerade zu Beginn der Schwangerschaft einer gewöhnlichen Monatsblutung. Die Blutung hält durchschnittlich zwölf Tage an. Ein Abbruch ist auch nur mit Misoprostol möglich, meist wird jedoch die Kombination verwendet.
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch gilt als sehr sichere und zuverlässige Methode. Bei Komplikationen sollten Patientinnen ein Krankenhaus aufsuchen. In Regionen mit Verboten ist wichtig zu wissen, dass in der Klinik kein Unterschied zu einem Abgang oder einer Fehlgeburt festgestellt werden kann.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Nutzung bis zur 12. Schwangerschaftswoche. In Deutschland ist sie bis zur neunten Schwangerschaftswoche (63. Tag) möglich. Das Medikament ist in Deutschland nicht frei verkäuflich oder auf Rezept erhältlich, sie werden in Praxen ausgehändigt. In den USA sind sie verschreibungspflichtig, man kann sie allerdings auch ohne Rezept bekommen.
Quellen: Techniker Krankenkasse, familienplanung.de, FDA
Die dafür notwendigen Medikamente - Mifepriston und Misoprostol - werden noch immer in alle US-Bundesstaaten verschickt. Rechtlich begibt man sich je nach Bundesstaat in unterschiedliche Grauzonen. Die Pillen zu nehmen, ist meist keine Straftat. Aber es bleiben Risiken. Daher wird geraten, seine Privatsphäre online zu schützen und es im Zweifel niemandem zu erzählen.
Die Anbieter sichern sich ab, indem sie sich in liberalen Bundesstaaten registrieren, die sie vor Klagen aus Staaten mit Verboten schützen. Die Organisation AidAccess, einer der bekanntesten Anbieter, sitzt in Europa, verschickt die Pillen von Indien über beispielsweise Massachusetts in alle Staaten.
"Niemals Selten Manchmal Immer" von der Regisseurin Eliza Hittmann handelt von einer 17-jährigen US-Amerikanerin, die nur einen Ausweg aus ihrer Situation sieht: Eine Abtreibung. Ein Thema, das die US-Gesellschaft spaltet.01.10.2020 | 2:42 min
USA: Abbrüche im vergangenen Jahr gestiegen
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Ende des Jahres 2023 monatlich etwa 8.000 Personen in Bundesstaaten mit Verboten oder sehr strikten Gesetzen die Pillen per Post bekommen haben. Insgesamt ist die Zahl der Abtreibungen nach 2022 in den USA sogar gestiegen. David Cohen, Juraprofessor an der Drexel Universität in Philadelphia, überrascht das nicht.
Für jede einzelne Person in der Situation ist es ein Kampf gegen die Zeit, gegen Falschinformationen und Unsicherheiten, die sie unter Umständen ganz allein meistern muss.
Breites Spektrum an Hilfsangeboten für Abtreibung
Rebecca Nall hat das 2012 in Texas selbst erlebt. Sie kämpfte sich durch einen Dschungel an echten und Scheinkliniken. Kurz später hat sie eine Homepage veröffentlicht: Sobald dort Wohnort, Alter und das Datum der letzten Periode angegeben sind, werden alle Optionen für einen Schwangerschaftsabbruch aufgelistet.
Über eine Million Nutzer haben die Seite bisher aufgerufen, aktuell sind es 1.300 täglich, sagt sie ZDFheute.
Andere Seiten und Hotlines sind auf rechtliche Fragen, medizinische Fragen oder finanzielle Unterstützung spezialisiert. All das ist notwendig, weil ein zuvor geschütztes Recht zu einem potenziell kriminellen Akt geworden ist. Und, um den Frauen die Fragen zu beantworten, auf die das Gesundheitssystem keine Antworten mehr gibt.
Braucht Deutschland noch Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs, der einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt? Experten empfehlen nun, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren.16.04.2024 | 8:19 min
Abtreibungsgegner fechten Optionen juristisch an
Abtreibungsgegnern sind diese Optionen ein Dorn im Auge. In Louisiana soll über einen Gesetzentwurf entschieden werden, der den Besitz der Abtreibungspillen ohne Rezept unter Strafe stellt. Es wäre der erste Staat mit einer solchen Regel.
Zudem wird der Oberste Gerichtshof entscheiden, ob Mifepriston weiter als Medikament zugelassen bleibt. Ein Verbot würde medikamentöse Abtreibungen nicht unmöglich machen, aber deutlich erschweren.
Im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps könnte zudem ein Gesetz aus dem Jahr 1873 wieder in Kraft gesetzt werden, das den Versand von Material für Abtreibungen verbietet. Der sogenannte 'Comstock Act' wird in konservativen Handbüchern für Trumps zweite Amtszeit als notwendig beschrieben.
"Menschen helfen, die Hilfe brauchen"
Rebecca ist zuversichtlich, dass Informationsseiten wie ihre durch die Meinungsfreiheit geschützt sind. Sie will weiter dafür kämpfen, dass jeder in den USA weiß, dass es noch Optionen gibt. Denn:
Dass sie selbst bedroht werde, ließe sich leicht ignorieren, weil sie wisse, dass "wir Menschen helfen, die dringend eine Behandlung brauchen."
Anna Kleiser ist Korrespondentin im ZDF-Studio Washington D.C.