Europawahl in Ungarn:Fidesz verliert Stimmen - Ende der Ära Orban?
von Christian von Rechenberg
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Die regierende Fidesz-Partei ist in Ungarn stärkste Kraft bei der Europawahl, muss aber Verluste einstecken. Orbans Herausforderer Magyar konnte mit der neuen Tisza-Partei punkten.
Peter Magyar nach der Bekanntgabe der Teilergebnisse in Budapest
Quelle: Reuters
Über Budapest braut sich ein heftiges Gewitter zusammen, doch die Anhänger von Peter Magyar wollen nicht nach Hause. Zu Tausenden sind sie an das Ufer der Donau geströmt, unterhalb der Petőfibrücke, wo Magyars Partei Tisza (Respekt und Freiheit) die Wahrparty feiert. Menschen aus allen Schichten der ungarischen Bevölkerung, bunt gemischt, wie auf einem Musikfestival.
Als letztes Land in Europa wartet Ungarn bis kurz vor Mitternacht auf die Ergebnisse. Als die ersten Zahlen auf der Videoleinwand erscheinen, sind erst 40 Prozent ausgezählt. Aber das reicht für einen Riesenjubel. 31 Prozent für Tisza. Ein Donnerschlag.
Tisza: In drei Monaten zur zweitstärksten Kraft
Melinda, eine junge Frau mit weißem T-Shirt und einem Stirnband in ungarischen Farben, reckt die Hände in den Himmel: "Es lebe Tisza!". Melinda sagt, sie hoffe, dass sich das Ergebnis stabilisiert und Viktor Orbáns Partei Fidesz abstürzt.
Das Ergebnis wird sich später stabilisieren, doch weil das Gewitter immer näher kommt, kommt Peter Magyar jetzt auf die Bühne. Vor ihm ein Meer aus Menschen, Lichtern, Fackeln und strahlenden Gesichtern.
Man merkt, dass die Last von Monaten von ihm abfällt. Er hat aus dem Nichts innerhalb kürzester Zeit die Tisza-Partei fit für den Wahlkampf gemacht, gegen Fidesz ausgerichtet, geredet, gekämpft. Nun steht er als Sieger da, auch wenn Tisza nur auf dem zweiten Platz landete.
Die schwierige wirtschaftliche Situation in Ungarn macht Ministerpräsident Viktor Orbán zu schaffen. Überraschend gut hat die Partei von Herausforderer Péter Magyar abgeschnitten.09.06.2024 | 3:14 min
"Lasst diese Nacht die Nacht der Freude sein", ruft er, "das Fest der Freiheit."
Dies, so Magyar weiter, sei der Beginn einer neuen Ära, und meint damit den Anfang vom Ende Victor Orbáns. Der tritt am gegenüberliegenden Ufer der Donau im Kongresszentrum Bálna vor seine Anhänger.
Orbán steht als Verlierer da
Hier, in dem futuristischen Gebäude, das alle nur den Walfisch nennen, feiert Fidesz traditionell seine Wahlsiege. Doch zum Feiern ist niemand zumute. Totenstille, als das Fidesz-Ergebnis aufscheint: 43 Prozent. Knapp 10 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Wahl, zwei Sitze im EU-Parlament verloren. Alle anderen Europawahlen hat Fidesz immer mit mehr als 50 Prozent gewonnen. Orbán steht als Verlierer da, eine Rolle, die er nicht kennt, die er hasst.
Ein milliardenschweres Netzwerk aus Firmen und Stiftungen: Das ist Viktor Orbans Propagandamaschine - mit dem Ziel, neu-rechte Ideologien im Westen zu verbreiten.
von Peter Kreysler
mit Video
Noch einmal greift Orbán sein Lieblingsmotiv auf. Den Krieg. Im Wahlkampf versuchte er den Menschen Angst zu machen, behauptete, die EU und die Nato (deren Mitglied Ungarn ist), trieben Ungarn, wie einst Hitler, in einen Konflikt mit Russland. Nur er stünde für Frieden, nur er könne Brüssel zur Vernunft bringen. Viele glaubten ihm das, doch diesmal ist es nicht mehr die Mehrheit. Der Politikexperte Dániel Mikecz nennt das Wahlergebnis historisch:
Orbán fand kein Mittel gegen Konkurrenz mit gleichen Themen
Orbán wirkte im gesamten Wahlkampf blass und müde gegen den dynamischen Magyar, gegen den er nie ein passendes Rezept fand. Denn der ist Mitte-rechts-Politiker, und steht für die gleichen Themen wie Fidesz. Nur, Magyar will eine "saubere" Alternative bieten, ohne Korruption, Vetternwirtschaft und Propaganda.
Tatsächlich gilt Ungarn als eines der korruptesten Länder der EU, flossen Millionen Fördergelder aus Brüssel in dunkle Kanäle, meist in die Taschen von Orbán-treuen Oligarchen oder dessen Familie.
Auf der "CPAC" haben sich rechtspopulistische Politiker aus ganz Europa getroffen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán spannt ein Netzwerk zwischen Gleichgesinnten.08.06.2024 | 1:27 min
Lange verziehen die Ungarn Orbán, nun geht es dem Land aber wirtschaftlich immer schlechter. Rekordinflation, Rekordschulden. Statt Parolen erwarten die Menschen Lösungen. Statt diese anzubieten, hetzte Orbán gegen Minderheiten.
Magyar hingegen stellte Reformen in Aussicht, die Aussöhnung mit der EU, damit die dort eingefrorenen Millionen in Ungarn in das marode Gesundheits- und Bildungssystem fließen könnten. Hier, so der Experte, müsse Orbán nun ansetzen:
Orbán ist angeschlagen. Fraglich, ob er nun noch mehr Energie in Angriffe auf Gegner wie Tisza oder Verbündete wie EU und Nato steckt, oder sich doch für eine neue, gemäßigte Strategie entscheidet, mit dem Risiko, gegen einen jungen Peter Magyar dann als zu alt und zu schwach dazustehen.
Insofern könnte der 9. Juni 2024 tatsächlich der Anfang vom Ende des dienstältesten Ministerpräsidenten und Autokraten der EU sein.