Gegen den Istanbuler Bürgermeister und Erdogan-Kontrahenten Imamoglu ist ein Haftbefehl erlassen worden. ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa zu den Hintergründen der Festnahme.19.03.2025 | 1:35 min
Es ist ein weiterer Schlag gegen politische Herausforderer des türkischen Präsidenten
Recep Tayyip Erdogan. Am Mittwoch haben Behörden in Istanbul den Oberbürgermeister der Stadt, Ekrem Imamoglu, festgenommen. Er gilt als vielleicht aussichtsreichster Gegner Erdogans bei den nächsten Präsidentschaftswahlen.
Für rund 100 weitere Personen, die mit Imamoglu in Verbindung stehen, wurden Haftbefehle erstellt. Darunter sind weitere Bürgermeister und Journalisten.
In der Türkei haben auch am Abend viele Menschen gegen die Festnahme von Ekrem Imamoglu demonstriert. Trotz Verbot kamen allein in Istanbul Tausende Menschen unter hohem Polizeiaufgebot vor der Stadtverwaltung zusammen. 20.03.2025 | 2:11 min
Warum erfolgt der Ausschluss jetzt?
In wenigen Tagen plante die sozialdemokratisch und kemalistisch geprägte Oppositionspartei CHP, Ekrem Imamoglu zu ihrem Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen 2028 zu ernennen.
Weitere realistische Herausforderer hatte Erdogan zuletzt nicht, da auch andere Oppositionsparteien in den vergangenen Jahren juristisch geschwächt wurden.
Selahattin Demirtas von der kurdisch geprägten HDP etwa wurde im Dezember 2024 zu über 40 Jahren Gefängnis verurteilt.
2019 hatte Imamoglu erstmals überraschend die Bürgermeisterwahlen in Istanbul gewonnen und das Amt im März 2024 verteidigt. Die Anschuldigungen gegen ihn umfassen Korruptionsvorwürfe und Verbindungen zu Terrororganisationen. Sie ähneln damit Vorwürfen, die in der Vergangenheit gegen andere prominente Oppositionspolitiker erhoben wurden. Konkret untersuchen die türkischen Behörden Wahlkampf-Kooperationen zwischen der HDP-Nachfolgepartei DEM und Imamoglu. Auch die DEM wird von Gegnern mit der verbotenen
Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Verbindung gebracht.
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Bereits am Dienstag hatte die Universität von Istanbul Imamoglu wegen einer Formalie aus dem Jahr 1990 das Diplom entzogen. Das Präsidentenamt in der
Türkei schreibt zwingend einen Universitätsabschluss vor.
Wird es Proteste gegen die Festnahmen geben?
Die türkischen Behörden haben ein Demonstrationsverbot für einen Zeitraum von vier Tagen in der gesamten Provinz Istanbul verhängt, wie die Regionalverwaltung in einem online veröffentlichten Statement schreibt. Liveübertragungen in den sozialen Medien zeigen, wie sich dennoch an mehreren Orten in Istanbul kleinere Gruppen von Menschen versammelten, um gegen die Entscheidung zu protestieren. Größere Massenproteste gibt es bislang nicht.
Der inhaftierte Anführer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, fordert seine Anhänger zur Niederlegung der Waffen und zur Auflösung der PKK auf.
von Nils Mooney / Phoebe Gaa
Journalisten vor Ort berichteten, dass der Zugang zu verschiedenen sozialen Medien eingeschränkt wurde. Zentrale Boulevards in der Metropole waren am Mittwochmorgen von Sicherheitskräften abgesperrt. Die Regionalverwaltung ließ mehrere Linien der Istanbuler Metro sperren, die sonst von Millionen Menschen täglich genutzt werden.
Geschlossene Metro-Station in Instanbul
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CHP-Parteichef Özgür Özel nannte die Festnahmen einen "Putschversuch". In einem
Video, das Imamoglu kurz vor seiner Festnahme in den sozialen Medien veröffentlichte, sagte der Politiker: "Wir sind mit großer Tyrannei konfrontiert, aber ich möchte, dass Sie alle wissen, dass mich das nicht abbringen wird."
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Wie geht es jetzt mit Ekrem Imamoglu weiter?
Die CHP rief ihre 1,75 Millionen Mitglieder auf, am 23. März ihre Stimme bei den Vorwahlen dennoch abzugeben. Ob Imamoglu dort trotz Abwesenheit kandidieren wird, ist aktuell unklar.
Die Ereignisse weisen gewisse Parallelen zu Erdogans eigener Geschichte auf: Als Oberbürgermeister von Istanbul wurde er 1998 zu einer Haftstrafe wegen Aufstachelung verurteilt. Die öffentliche Debatte darum und seine viermonatige Haftzeit 1999 gaben Erdogan einen landesweiten Schub an Popularität und trugen letztlich dazu bei, dass seine Partei AKP 2022 einen großen Sieg bei den Parlamentswahlen einfahren konnte.
Mit Blick auf die Schwächung anderer Oppositionskandidaten in den vergangenen Jahren durch Prozesse und Haftstrafen dürfte Erdogan zuversichtlich sein, dass Imamoglu von den aktuellen Entwicklungen kaum profitieren kann. International löste die Festnahme Entsetzen aus: Die Bundesregierung verurteilte sie am Mittag scharf und sprach von einem "schweren Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus", so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
Die PKK hat laut der ihr nahestehenden kurdischen Nachrichtenagentur AFN eine Waffenruhe mit der Türkei verkündet. "Solange keine Angriffe auf uns erfolgen", heißt es.