Militärexperte zu Taurus: Lieferung an Ukraine gut abwägen
Interview
Ukraine fordert Marschflugkörper:Militärexperte: Taurus-Lieferung gut abwägen
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Die Bundesregierung zögert, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Militärexperte Ralph Thiele hält das abwägende Vorgehen für richtig - bemängelt aber auch Versäumnisse.
Kiew fordert von Berlin Taurus-Marschflugkörper - die Bundesregierung zögert. ZDFheute live spricht mit Oberst a.D. Ralph Thiele über eine mögliche Lieferung.11.08.2023 | 30:52 min
Die Ukraine bittet Deutschland um die Lieferung von reichweitenstarken Marschflugkörpern vom Typ Taurus, doch die Ampel zögert. In der Debatte wächst der Druck auf die Bundesregierung. Militärexperte und Oberst a.D. Ralph Thiele zeigt bei ZDFheute live Verständnis für das Abwägen der Ampel-Koalition - kritisiert aber auch verpasste Chancen bei der Munitionsproduktion.
Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Ralph Thiele ...
… zum zurückhaltenden Verhalten der Ampel bei Taurus-Lieferungen
Die Debatte um Taurus-Marschflugkörper bringe tatsächlich wieder eine neue Qualität bei der Frage nach dem deutschen Engagement zur Unterstützung der Ukraine, sagt Thiele.
Hinzu komme, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj vor wenigen Tagen nochmal deutlich gemacht habe, "dass er auch Russland selbst mit der Waffenwirkung nicht aussparen möchte, sondern ganz gezielt auf wichtige Stätten und Kommandozentralen, andere beteiligte Ministerien des Krieges gehen will".
Daher sei die Sorge, dass man dann eben auch Präzisionswaffen in dieser Wucht dafür nutzen könnte, "sicherlich nicht vollkommen unbegründet".
Die Ukraine will deutsche Taurus-Marschflugkörper, die Kanzler-Partei zögert jedoch. CDU-Politiker Kiesewetter fordert Lieferungen und bekräftigt: Taurus schützt Menschenleben.11.08.2023 | 5:11 min
… darüber, wie andere Staaten im Vergleich zu Deutschland agieren
Die Briten seien in diesem Konflikt eher ein Vorreiter, ähnlich wie Polen, sagt Thiele. Die beiden Nationen drängten, die nächsten Schritte bei der Unterstützung der Ukraine zu unternehmen. Generell sei der Gedanke "Vorsicht" für Deutschland sicherlich angemessen, insbesondere mit der Vergangenheit als Kriegsverursacher.
Frankreich versuche, als eigenständiger, geopolitischer Spieler "eine hervorgehobene Rolle zu spielen. "Wir Deutschen versuchen das bislang nicht." In der Ukraine-Unterstützung spiele Deutschland "eine ganz prominente Rolle, gleich hinter den USA - wirtschaftlich, finanziell, aber eben auch wirklich mit militärischen Gütern". Von daher "müssen wir uns da nicht wirklich hinter diesen beiden Ländern - Frankreich und Großbritannien - verstecken", so der Militärexperte.
… über die Gefahr einer Ausweitung des Kriegs
Sowohl im Militärischen als auch im Politischen werde "gerne das Bild Eskalationsleiter" genutzt, sagt Thiele. "Man erkennt dann daran, dass es eben Sprossen gibt, die man hinaufsteigen kann in der Eskalation." Auf vertikaler Ebene stehe ganz oben der Einsatz von Nuklearwaffen.
Bei der horizontalen Eskalation gehe es um eine Ausweitung des Gefechtsfeldes. Am Ende dieser Skala stehe der Einsatz russischer Waffe über oder in Deutschland. "Das alles kann man nicht ausschließen und deswegen ist eben Politik gut beraten, sorgsam abzuwägen, welche Schritte sie unternimmt", damit es nicht zu diesen Eskalationen komme, so Thiele.
… über Versäumnisse bei den Waffenlieferung an die Ukraine
"Weil wir es verschlafen haben die Munitionsproduktion der Waffen, der Artilleriewaffen und anderer, die die Ukraine wirklich dringlich braucht in ihrem Kampf, rechtzeitig anzuschieben", erklärt Thiele. Deswegen sei die Ukraine jetzt in einer Situation, in der sie die Zeit bis 2024 überbrücken müsse.
Erst dann könne die Nachschub-Logistik richtig loslegen. Thiele betont: "Es gäbe viele andere, bessere, geeignetere Waffensysteme, aber die haben wir halt nicht." Daher komme dann dieser Gedanke, weitreichendere Waffensysteme zu nehmen.
Allein durch Taurus-Marschflugkörper könne die Ukraine den Krieg nicht gewinnen, stellt Thiele fest - dennoch habe das Waffensystem an der Front taktische Bedeutung.
Die Ukraine bittet Deutschland um Marschflugkörper vom Typ Taurus. Bisher ist die Bundesregierung nicht bereit, diese an Kiew zu liefern. Doch was könnten die Waffen bringen?
von Jan Schneider und Petra Riffel
… über eine mögliche Reichweiten-Begrenzung bei Taurus-Marschflugkörpern
Aktuell gibt es vor dem Hintergrund der Sorgen einer Ausweitung des Krieges Spekulationen um eine Reichweiten-Begrenzung von Taurus-Marschflugkörpern, die Deutschland an Kiew liefern könnte. Dazu sagt Thiele, dass man deren Reichweite grundsätzlich begrenzen könne.
Er macht allerdings deutlich, dass die Begrenzung auch umgangen werden könne: "Im Grunde kann man es sich wie beim Tunen des Mopeds vorstellen, das ja auch dann nur 30 fahren soll." Die Ukraine sei schon lange vor dem russischen Angriff in Sachen Informationstechnologie hochprofessionell gewesen und habe sich auch im Laufe des Krieges als extrem innovativ gezeigt.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.