Story
Schattenflotte auf der Ostsee :Das EU-Schlupfloch des russischen Öl-Embargos
von Hannah Freitag und Arndt Ginzel
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Alte Tanker fahren russisches Öl über die Ostsee Richtung Atlantik - vor den Augen der EU. Dabei umgeht Moskau internationale Sanktionen und gefährdet die Ostsee.
Trotz Ölembargo betreibt Russland weiter Handel mit russischem Rohöl und Erdölprodukten über die Weltmeere.22.08.2023 | 12:41 min
An einem grauen, wolkenverhangenen Morgen im August ist ein Team von ZDF frontal unterwegs auf der Ostsee im Finnischen Meerbusen. In Sichtweite mehrere Tanker, die unweit der Küste Estlands auf die Einfahrt in russische Häfen warten.
Die Ware, die sie transportieren sollen, ist ein Politikum: Die Schiffe werden in Russland mit sanktioniertem Öl beladen. Von dort fahren sie über die Ostsee auf die Weltmeere und transferieren das Öl auf Schiffe, die von den westlichen Sanktionen gegenüber Russland ausgenommen sind.
Die russischen Ölhäfen in der Ostsee befinden sich in Ust-Luga, nahe der estnischen Grenze, und im weiter nördlich gelegenen Primorsk. In diesen zwei Häfen allein wurden vom 1. bis zum 10. August rund 1,6 Millionen Tonnen russisches Öl umgeschlagen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Trotz Ölembargos umgeht Russland den Handel mit russischem Rohöl und Erdölprodukten über die Weltmeere.22.08.2023 | 2:36 min
Angst vor Öl-Katastrophe in Ostsee
"Je mehr Sanktionen, desto mehr steigt die Zahl der Schiffe", sagt der estnische Skipper der uns auf See begleitet. Jeden Tag kann er die Tanker auf der Ostsee beobachten.
Doch nicht nur die Ware, sondern auch die Schiffe selbst, sind ein Problem. Die Tanker, mit denen das europäische Öl-Embargo gegen Russland umgangen wird, sind mitunter über 20 Jahre alt. Auf ihre Seetüchtigkeit überprüft, werden sie jedenfalls selten. Die rostigen Außenwände lassen das hohe Alter der Schiffe erahnen.
Fehlende Inspektionen begünstigen das Risiko von Schiffsunglücken, bei denen große Mengen an Öl ins Meer gelangen können. "Es wäre eine Katastrophe für die Ostsee, wenn ein rostiger Tanker auseinanderbrechen würd", sagt Jaan Manitski, der 1990 estnischer Außenminister war und heute ein Hotel betreibt.
Geisterflotte mit über 1.000 Schiffen
Das ZDF-frontal-Team entdeckt bei der Recherche auf See den Öltanker "Limo", Baujahr 2000, registriert in Kamerun. Das Land ist bei Experten für seine laxen Schiffskontrollen berüchtigt. Die "Limo" wurde zuletzt im Juni 2019 inspiziert, normalerweise sollte das ein bis zweimal pro Jahr geschehen.
Auch über Indien gelangt trotz des EU-Boykotts russisches Öl nach Europa:
Der Tanker lief schon unter sechs verschiedenen Namen und hieß vor vier Jahren noch "Kriti Island". US-Gerichtsdokumente zeigen, dass auf die "Kriti Island" im Januar 2019 auf hoher See heimlich Öl von einem iranischen Tanker umgepumpt wurde. Das war bereits damals ein Verstoß gegen Sanktionen, denn der Westen hatte ein Öl-Embargo gegen das iranische Mullah-Regime verhängt.
Der Öltanker "Limo" wird einer weltweit agierenden Schattenflotte zugerechnet, die bereits vor dem Russland-Embargo existierte. Der israelische Schiffsdatenanalyst Windward spricht von einer sogenannten "dunklen Tankerflotte", zu der rund 1.100 Schiffe zählen.
Seit Beginn der Sanktionen gegen Russland seien etwa 900 Öltanker dazugekommen, von Analysten als "graue Tankerflotte" bezeichnet.
Russische Tanker auch vor Griechenland
Dass Russland die EU-Sanktionen beim Öl umgeht, hatte ZDF frontal bereits im August 2022 dokumentiert. Russische Tanker transferierten damals vor der Küste Griechenlands russisches Öl auf andere Schiffe.
Seit Kriegsbeginn tauchen zahlreiche Öltanker in ungewohnten Gebieten auf:
Durch das Umpumpen von Schiff zu Schiff ist später kaum noch festzustellen, woher das Öl ursprünglich stammt. Schiffsdatenbanken und aktuelle Fotos, die ZDF frontal vorliegen, belegen, dass der Lakonische Golf vor Griechenland nach wie vor ein bedeutender Umschlagplatz für russisches Öl ist.
EU will reagieren
Die Europäische Union will als Reaktion härter gegen diese "Ship-To-Ship-Transfers" vorgehen, zumindest in europäischen Gewässern. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter fordert im Gespräch mit ZDF frontal "eine Art Frontex für Schatten Schiffe".
Die Bundesrepublik solle sich dafür einsetzen, "dass es eine europäische Fähigkeit gibt, diese Schiffe bewusst auch aufzugreifen, sobald sie die Außenwirtschaftszonen erreicht haben und die internationalen Gewässer verlassen haben".
Ob solche Ideen durchsetzbar sind, scheint zumindest fraglich. Im Wissen, dass sanktioniertes Öl über die Ostseewege auf den Weltmarkt gelangt, demonstriert Russland Präsenz und hat im August ein großes Manöver auf der Ostsee angekündigt - ein Übungsziel: russische Seewege schützen.
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