"Deutsche Wochen", "Pinocchio":So lief die TV-Debatte vor der Polen-Wahl
von Lukasz Galkowski, Warschau
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Viele Sticheleien, ein wenig antideutsche Rhetorik: Bei der TV-Debatte vor der Parlamentswahl in Polen lieferten sich die Spitzenkandidaten vor allem rhetorische Kämpfe.
Oppositionskandidat Donald Tusk bei der TV-Debatte im Sender TVP
Ein prodeutscher Regierungschef, der einen Ausverkauf polnischen Eigentums anstrebt, Millionen von Migranten ins Land lassen und Sozialleistungen kürzen will: Bei der TV-Debatte im Staatssender TVP zeichneten die Moderatoren und Premierminister Mateusz Morawiecki ein erwartetes Bild von Oppositionsführer Donald Tusk:
"Wenn die PO [Tusk-Partei] an die Macht kommen sollte, dann würde es wie bei Lidl zugehen: mal deutsche Wochen, mal französische Wochen. [...] Wir lassen es nicht zu, dass Herr Tusk in Polen das Schild 'zum Verkauf' aufhängt", agitierte Morawiecki.
Tusk bezeichnet Morawiecki als "Pinocchio"
Tusk stichelte gegen seinen ehemaligen Berater Morawiecki aus seiner Zeit als Premier (2007-2014): "Sie sind ein ganz anderer Mensch, als dieser, der sich damals um einen Job bei mir beworben hat. Ich weiß nicht, was die PiS aus Menschen macht."
Es sei richtig, dass Morawiecki "Pinocchio" genannt werde, weil er es mit der Wahrheit nicht so ernst nehme.
Moderatoren übernahmen Rolle der Kommentatoren
Sticheleien wie diese, und weniger die Inhalte, standen bei der Debatte im Vordergrund. Sie hat den Namen auch kaum verdient, weil sie Fragen zwischen den Kandidaten nicht vorsah. Die Monologe der Co-Moderatoren - einer davon ein ehemaliger Sprecher der Regierungspartei PiS - dauerten teils länger als die einmütigen Antworten der Kandidaten. Insgesamt waren Vertreter von sechs Parteien und Bündnissen vertreten.
Die wichtigsten Parteien und Bündnisse bei der Polen-Wahl:
Die nationalkonservative Partei von Jarosław Kaczyński führt seit 2015 die Regierung in Polen an. Als Juniorpartner verstärken die PiS-Fraktion im Parlament unter anderem Abgeordnete der rechtspopulistischen Suwerenna Polska (Souveränes Polen) von Justizminister Zbigniew Ziobro, der das Gesicht der umstrittenen Justizreformen ist.
Recht und Gerechtigkeit verknüpft eine etatistische Wirtschaftspolitik mit einem traditionellen Weltbild. Die Partei setzt auf einen starken Sozialstaat, will das Kindergeld weiter erhöhen. In der Migrationspolitik lehnt sie eine Umverteilung innerhalb der EU ab, die katholische Kirche soll in Polen ihre starke Rolle behalten.
Die Koalition wird vom liberalkonservativen Spitzenkandidaten Donald Tusk und seiner Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) angeführt. Tusk war von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef, bevor er fünf Jahre lang EU-Ratspräsident und anschließend Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament wurde.
Anfang 2022 kehrte er auf die politische Bühne in Polen zurück. Die KO will den Streit mit der Europäischen Union beenden und die Justizreformen der PiS zurückdrehen. Trotzdem bleibt sie zuwanderungsskeptisch. In ihrem Wahlprogramm verspricht das Wahlbündnis die Möglichkeit einer legalen Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Ein Angebot für christdemokratisch orientierte Wähler, die eine Alternative zur PiS und KO suchen. Das Wahlbündnis besteht aus der Partei "Polska 2050" (Polen 2050) des ehemaligen Journalisten Szymon Hołownia und der Bauernpartei PSL von Władysław Kosiniak-Kamysz.
Hołownia verbuchte 2020 als Drittplatzierter der Präsidentschaftswahl einen Achtungserfolg. Beide geben sich pro-europäisch, legen einen großen Wert auf rechtsstaatliche Prinzipien und fordern ein Vorantreiben der ökologischen Transformation.
Die Partei setzt in ihrem Programm auf klassische linke Themen wie Frauenrechte, Arbeitnehmerrechte, die Trennung von Staat und Kirche, den Schutz der Schwächeren. Sie will die "Rolle Polens in Europa stärken", indem der Streit mit der EU beendet und eine unabhängige Justiz wiederhergestellt wird.
Die Linke will insbesondere auch Frauen mobilisieren: Sie sollen "den Regenschirm gegen den Kugelschreiber tauschen" - der Regenschirm war eines der Symbole der Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsrecht.
Die Ultrarechten setzten auf eine starke Rolle der katholischen Kirche und ein konservatives Familienbild mit einem radikalen Abtreibungsrecht - auch wenn an Frauen gerichtete Themen im Wahlprogramm ausgeklammert sind. Die Konfederacja ist EU-skeptisch und wirtschaftsliberal, kritisiert die PiS für ihre Sozialpolitik und fordert radikale Steuersenkungen bis hin zur Abschaffung der staatlichen Sozialversicherungsanstalt.
Sie ist besonders bei jungen Männern beliebt. In ihren Reihen sitzen auch einige Nationalisten, die in der Vergangenheit mit rassistischen und antisemitischen Stimmen auffielen. Die Konfederacja fällt außerdem mit anti-ukrainischer Rhetorik auf.
Quelle: ZDF
Sie ordneten die tendenziös wirkenden Fragen bereits im Sinne der Regierenden ein. Ein Beispiel: "Wollen Sie eine Rückkehr zum höheren Renteneintrittsalter, die von der Tusk-Regierung beschlossen worden war oder eine weitere Verbesserung der Lage für die Rentner unter der PiS-Regierung?" Der Zuschauer sollte eine klare Interpretation bekommen.
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Debatte in sechs Blöcke unterteilt
Mit einer fairen Debatte wurde im Vorfeld auch gar nicht gerechnet. Der staatliche Rundfunk TVP sendet nach dem Regierungswechsel im Jahr 2015 auf Parteilinie und verbreitet seit Jahren ungeniert PiS-Propaganda: Donald Tusk gilt dort als der personifizierte Teufel und als ein Politiker im Dienste Deutschlands, der Polen als neuer Regierungschef ins Unheil stürzen würde. "Sie waren ein Premier des polnischen Elends und der Arbeitslosigkeit", meinte Morawiecki in Richtung Tusk.
Die Debatte war in sechs Blöcke unterteilt: Migration, äußere Sicherheit, Privatisierung, Rentenalter, Sozialpolitik und Arbeitslosigkeit. Die ersten vier Themen werden auch im Referendum abgefragt, das zeitgleich mit den Parlamentswahlen stattfindet.
Tusk äußert sich inhaltlich nicht zur Migration
Morawiecki betonte, dass man den von der EU ausgehandelten Migrationspakt nicht unterstützen wird: "Wir verteidigen die Polen vor angezündeten Autos wie in Paris oder Stockholm." Oppositionskandidat Szymon Hołownia (Dritter Weg) verwies auf die "mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge", sodass "niemand uns zwingen wird, "dass wir Migranten gegen unseren Willen aufnahmen."
Der ultrarechte Krzysztof Bosak (Konfederacja) schlug auch anti-ukrainische Töne an und forderte eine Kürzung der Sozialleistungen für die geflüchteten Ukrainer. Offen in der Migrationsfrage zeigte sich lediglich die Vertreterin der Linken Joanna Scheuring-Wielgus .
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Von Tusk gab es keine Positionierung: Er stellte sich so lange dem Zuschauer vor, dass ihm die Zeit für eine inhaltliche Äußerung zur Migration nicht ausreichte: "Ich freue mich, dass Sie sehen können, dass ich einer bin wie Sie", sagte Tusk.
Opposition wünschte sich Kaczyński bei Debatte
Er kritisierte zudem, dass sich nicht der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyńskider Debatte stellte und warf ihm "Feigheit" vor. Kaczyński nahm stattdessen eine Stunde früher einen Wahlkampftermin in der Provinz wahr. Dort konnte sich der Vize-Premier einen Seitenhieb gegen Tusk nicht verkneifen: Er sei "pro-deutsch" gewesen und hätte die Landwirte nicht vor der "Flut des ukrainischen Getreides" gerettet.
Dass die PiS ihren Spitzenkandidaten und nicht den Parteichef für die Debatte nominierte, ist zwar kein völlig abseitiges Manöver. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass es Vize-Premier Kaczyński und nicht Morawiecki ist, der das letzte Wort in den Regierungsgeschäften hat und praktisch die Geschicke des Landes leitet.
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