Vier Wochen vor Parlamentswahl:"Dieb", "Clowns": Hitziger Wahlkampf in Polen
von Natalie Steger und Milena Drzewiecka, Warschau
Am 15. Oktober wählen die Polen ein neues Parlament. Die Regierungspartei PiS kämpft um die Macht und nutzt ihr altes Feindbild aus: Deutschland.
"Schlaf nicht, sonst überstimmen sie dich": Oppositionsführer Donald Tusk mobilisiert die Polen, am 15. Oktober an der Parlamentswahl teilzunehmen.
Quelle: Imago
"Eine sichere Zukunft der Polen", ist das Wahlkampfmotto der regierenden PiS-Partei. Kein Wunder: In Zeiten des
Krieges im Nachbarland Ukraine ist die Sicherheitsfrage eine der wichtigsten in Polen. Doch man kann sich durchaus wundern, wen da die PiS in ihren Videos und Reden als die Gefahr beschreibt: Berlin und Brüssel,
Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, und … Donald Tusk.
Seit Jahren wird dem Liberal-Konservativen Tusk, von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef, jetzt Spitzenkandidat des größten Oppositionsbündnisses KO, seitens der nationalkonservativen PiS unterstellt, der Handlanger Deutschlands zu sein. "Dieb", "Feind der Nation", "ein Mann, der in sein Deutschland gehen soll", mit solcher Rhetorik muss Tusk dieses Jahr umgehen. Vier Wochen vor der Parlamentswahl wird der Wahlkampfton immer schärfer.
Vier Wochen vor der Wahl wird in Polen besonders heftig um jede Stimme gekämpft. Die PiS lässt keine Möglichkeit aus, um gegen Donald Tusk zu wettern - und andersherum. 13.09.2023 | 2:08 min
Wahlspot mit fiktivem Anruf des deutschen Botschafters
So sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki neulich, dass unter Tusk die Arbeitslosigkeit so hoch gewesen sei, dass der ehemalige Premierminister selbst ins Ausland fliehen musste. "Er musste
Angela Merkel bitten, ihm einen Job zu besorgen", so Morawiecki. Von 2014 bis 2019 war Tusk der EU-Ratspräsident. Keine Beförderung, so spielt es die PiS, sondern eine Art Verrat am eigenen Volk.
Es gibt scharfe Worte und Videos, mitunter skurrile. Ein Wahlspot der PiS - zur Musik von Wagners "Ritt der Walküre": Ein
fiktiver deutscher Botschafter in Warschau ruft PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski an und sagt, er wolle zum Bundeskanzler durchstellen. Olaf Scholz wolle, dass das Rentenalter in Polen wieder erhöht werde, wie unter Tusk. Darauf Kaczynski: "Tusk ist weg und diese Angewohnheiten sind vorbei." Und er legt auf. Das Video wurde im Internet zum Hit, viele machen Memes davon und verspotten es, aber die politische Spannung in Polen ist ernst.
In Polen haben hunderttausende Menschen gegen die Regierung demonstriert. Anlass ist ein Gesetz, das wenige Monate vor der Parlamentswahl auf die Opposition zielt.07.06.2023 | 6:08 min
Tusk will nach neun Jahren zurück ins Amt
Trotz des ständigen
Streits mit Brüssel um die Rechtsstaatlichkeit und trotz der internationalen Kritik ist die PiS stolz auf ihre Politik. "Wir werden derzeit von verschiedenen nicht gemocht, aber alle wissen, dass wir eine völlig unabhängige Politik machen. Wir sind ein souveräner Staat", so Kaczynski.
Die Opposition sieht das - auch naturgemäß - anders und wirft der PiS vor, Polen Richtung Osten zu schieben. Für Tusk sind die PiS-Regierenden "Clowns", "Verlierer" und "Heuchler". "Jaroslaw, entschuldige dich bei den Polen für diese acht Jahre. Entschuldige dich und geh weg mit deiner Truppe", so Tusk zu Kaczynski.
PiS und Tusk-Partei wollten 2005 koalieren
Die Wahlwerbung in Polen verlegt sich immer mehr darauf, den Gegenkandidaten schlecht zu machen. Die Oppositionskoalition KO hat polenweit schwarz-weiße Plakate aufgehängt, auf denen die Hälfte von Kaczynskis Gesicht mit der Schrift "Ich bin die Gefahr" zu sehen ist.
Kaum jemand würde heute glauben, dass Kaczynski und Tusk nach den Wahlen im Jahr 2005 noch von einer möglichen Koalition gesprochen haben. 18 Jahre danach sind die Konflikte noch tiefer, die Gesellschaft noch gespaltener, und die polnische Demokratie noch turbulenter.
Deutsche und Polen: eine schwierige Nachbarschaft. Der Schatten der NS-Herrschaft in Europa wirkte lange nach. Frank Buchwald über das deutsch-polnische Verhältnis.19.04.2023 | 2:50 min
So steht es in den Umfragen
Das Wahlergebnis dieses Jahr ist noch offen. 8 bis 14 Prozent (abhängig von der Umfrage) der Polen sind derzeit unentschieden. Bei den letzten Umfragen kam die national-konservative PiS zwar mit 33 bis 35 Prozent auf die größten Stimmenanteile, aber damit könnte sie die absolute Mehrheit - wie bislang - verpassen. Die liberal-konservative Bürgerkoalition von Tusk liegt bei 26 Prozent.
Königsmacher könnte dann die Nummer drei sein: Laut einer Umfrage ist es die sozialdemokratische Lewica, laut einer anderen - die Partei Konfederacja, die noch nationaler und rechter ist als die PiS.
Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit werden neuen Gesetzen oder Reformen der Regierung in Polen zuletzt häufig attestiert. Ist die Demokratie dort in Gefahr?
Svenja Bergerhoff, Warschau