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Interview
Wie geht es weiter in Österreich?:Expertin: "Das ist eine historische Zäsur"
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Die rechtspopulistische FPÖ könnte mit Herbert Kickl erstmals den Bundeskanzler in Österreich stellen. Eine Politikwissenschaftlerin analysiert, welche Folgen zu erwarten sind.
Herbert Kickl, Chef der FPÖ, wurde am 6. Januar 2025 mit der Regierungsbildung beauftragt. Zuvor waren Koalitionsgespräche ohne seine Partei gescheitert.
Quelle: AFP
In Österreich hat das politische Jahr turbulent begonnen: Weil sich die Parteien der Mitte auf keine gemeinsame Grundlage für eine Regierung einigen konnten, scheiterten die Koalitionsgespräche.
Nun kommt in Wien die rechtspopulistische FPÖ, die bei den Wahlen stärkste Partei war, zum Zuge - und ihr Parteichef Herbert Kickl könnte Kanzler werden. Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat ihn mit der Regierungsbildung beauftragt. Kathrin Stainer-Hämmerle, Professorin für Politikwissenschaft, bescheinigt Kickl "ein sehr vereinfachtes Verständnis von Demokratie im Sinne einer Diktatur der Mehrheit".
Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und den Neos will nun der Parteichef der rechten FPÖ, Herbert Kickl, eine Regierung bilden.07.01.2025 | 2:17 min
ZDFheute: Wie blicken Sie darauf, dass Herbert Kickl und die FPÖ nun den Auftrag zur Regierungsbildung haben?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Das ist eine historische Zäsur in Österreich. Noch nie gab es einen Regierungsauftrag an die Freiheitliche Partei, und noch nie gab es einen Bundeskanzler, der weder von der SPÖ noch von der ÖVP gestellt wird. Für Herbert Kickl geht es jetzt darum, dass er Bundeskanzler wird und kein anderer. Er hat zuvor die Freiheitliche Partei radikalisiert, aber vor allem auch isoliert von den anderen Parteien. Nur sein Wahlerfolg hat es dann ermöglicht, dass ihn die anderen Parteien nicht ignorieren konnten.
Kathrin Stainer-Hämmerle ist Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten und analysiert in verschiedenen Medien, unter anderem im ORF (öffentlich-rechtlicher Rundfunk Österreichs), das Politgeschehen in Österreich.
ZDFheute: Was haben die anderen Parteien versäumt, dass es so weit kommen konnte?
Stainer-Hämmerle: In Deutschland würde man sagen, gemeinsam eine Brandmauer zu errichten. Nicht nur gegen die Themen der Freiheitlichen Partei, sondern auch gegen deren Stil, zum Beispiel gegen die Polarisierung, eine optimistische Erzählung zu bieten, Visionen vorzustellen. Ich denke, der größte Fehler aller Parteien in Österreich war in den letzten Jahren, immer nur auf den anderen zu zeigen, wenn es darum ging, wer ist jetzt schuld an dieser Misere. Das hat keinen Sinn, denn dann bleibt der Generaleindruck, es sind irgendwie alle Parteien schuld. Und das erhöht die Unzufriedenheit und damit auch die Wahlchancen von populistischen Parteien.
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ZDFheute: Womit konnte Herbert Kickl denn bei den Wählern punkten?
Stainer-Hämmerle: Herbert Kickl signalisiert am besten, dass er etwas verändern kann. Er sagt auch - wie es einer populistischen Partei entspricht - dass er der Einzige ist, der den Willen des Volkes erkennt. Was bei Herbert Kickl noch auffällt: Er hat ein sehr vereinfachtes Verständnis von Demokratie im Sinne einer Diktatur der Mehrheit. Die Freiheitlichen sagen, wenn die Mehrheit etwas entscheidet, hat sie immer Recht. Und diese Entscheidung steht über dem Parlament und auch über der Justiz.
Bislang habe Kickl nur Kritik und Spott verteilt, nun soll er Österreichs Regierung bilden. Es würde ihm jedoch "nicht viel Spielraum bleiben", so ZDF-Korrespondent Bewerunge.06.01.2025 | 1:25 min
ZDFheute: Was wäre konkret von einer FPÖ-geführten Regierung zu erwarten?
Stainer-Hämmerle: Es wäre vor allem ein Wechsel in der EU-Politik. Herbert Kickl hat öfter Viktor Orbán als sein Vorbild genannt. Schlechte Nachrichten wären es aber auch für den Klimaschutz. ÖVP und FPÖ sind sich recht einig, dass es ein Teil der Freiheit ist, dass Straßen gebaut werden müssen. Frauen, Migranten, aber auch Wissenschaft, Kultur oder Journalisten, also all jene Gruppen, die Herbert Kickl bisher als gegnerisch empfunden hat, die hätten sicher ein schwereres Leben. Aber wir sehen schon erste Reaktionen in der Zivilgesellschaft, zum Beispiel Demonstrationen am Ballhausplatz. Natürlich ist damit zu rechnen, dass es Widerstand, dass es Proteste gibt.
Das Interview führte Ariane Dörendahl vom ZDF-Studio Wien.
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