Frontbericht aus Ukraine: "White Angel" rettet aus Marinka

    Zerstörte ukrainische Stadt:Das Ende von Marinka - "White Angel" rettet

    von Arndt Ginzel, Christian Rohde
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    In der völlig zerstörten Frontstadt Marinka in der Ostukraine evakuieren Freiwillige die letzten Überlebenden. ZDF Frontal hat Retter und Überlebende gesprochen. Ein Frontbericht.

    Im Frühling des ersten Kriegsjahres ziehen dichte Wolken über den Himmel von Marinka, die Birken sprießen in zartem Grün in der Ostukraine. Das Telefon von Vasyl Pipa klingelt, sein erster Einsatz heute: Evakuierung! "Die Menschen waren jede Minute in Gefahr, weil niemand nicht wusste, wohin geschossen wurde, aus welchen Waffen und mit welcher Intensität." Pipa hat vor dem Krieg als Ermittler gearbeitet. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, fährt er gemeinsam mit zwei Kollegen Evakuierungsmissionen in seiner Heimatstadt.
    An diesem Apriltag geht es mit einem Transporter in die Schersa Straße. Aus Hausnummer 50 kam ein Hilferuf. Pipa steigt hinab in der Keller - kein Licht, vorbei an Regalen mit eingeweckten Pflaumen. Im Garten nebenan schlagen die Geschosse ein, unten im Keller ein dumpfer Nachhall, ansonsten Stille und verängstige Frauen. Wenn Pipa und sein Team an Türen klopfen, beginnt das, was der Polizist Überlebensstress nennt:

    Sie müssen weggehen aus einer relativ komfortablen Zone, dem Keller. Sie haben Angst, nur noch Angst, denn es ist schrecklich, die eigenen vier Wände zu verlassen.

    Vasyl Pipa, Retter in der Stadt Marinka

    Vasyl Pipa (l.) mit Rustam Lukumsky bei einem Rettungseinsatz in Marinka, Ukraine.
    Vasyl Pipa (l.) mit Rustam Lukumsky bei einem Rettungseinsatz in Marinka, Ukraine.
    Quelle: Vasyl Pipa

    Artilleriefeuer legt Stadt in Schutt und Asche

    Als der Krieg noch jung ist, glauben viele Bewohner von Marinka, ihr Haus, ihre Wohnung, sie selbst würden von den täglich näher kommenden Angriffen verschont bleiben. Doch Pipa weiß, dass die Keller dem Artilleriefeuer nicht stand halten werden.

    Leider verwandelte sich der Frühling in einen blutigen Sommer.

    Vasyl Pipa

    Die Straßen von Marinka, über die der Evakuierungstransporter von Pipa rast, sind staubig und durchzogen von kleinen Trichtern - Granateinschläge. An diesem Sommertag steigt Rauch auf am Horizont der Stadtgrenze, Menschen in Panik, eine Feuerwehr löscht einen Brand.
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    Am Boden liegt ein Mann, das Bein blutig. "Wir sind Polizisten, wir sind nicht dafür ausgebildet. Aber wir mussten in diesen schwierigen Minuten Hilfe leisten." Pipa bindet das Bein des Mannes ab. Die Blutung muss gestoppt werden. "Wo ist Nadya, holt sie raus! Meine Frau, sie ist dort in der Küche", schreit der Verletzte.
    Die Küche, die Veranda, das Haus stehen in Flammen. "Wir haben uns nicht getraut zu sagen, dass sie vor Ort gestorben ist. Damit er nicht in Verzweiflung verfällt und irgendwie die Kraft behält, dort gegen seine Angst, seinen Schmerz anzukämpfen", erzählt Pipa.
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    Helmkamera zeichnet die Rettungsmissionen mit

    Bei seinen Evakuierungsmissionen lässt Polizist Pipa eine Helmkamera mitlaufen. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. "Ich versuchte, Beweise zu sammeln für die spätere strafrechtliche Verfolgung derer, die solche Verbrechen begehen, gegen die, die solche Zerstörungen, Schmerzen und Trauer den Menschen hier zufügen."
    Seine Helmkamera zeichnet den Alltag des Krieges auf: die Evakuierung verängstigter Menschen, die erste Hilfe für Schwerverletzte, das überstürzte Zusammenraffen persönlicher Gegenstände, den schmerzlichen Abschied für immer. Die Menschen in Marinka geben Pipas Team und ihrem Transporter einen Namen: "White Angel - Weißer Engel".
    Ukraine - Marinka - Grafik

    Der Dokumentarfilm "White Angel - Das Ende von Marinka" erzählt die Geschichte von Vasyl Pipa. Der Journalist Arndt Ginzel hat die Bilder der Helmkamera des Polizisten ausgewertet und hat Retter und Gerettete noch einmal in der Ostukraine aufgesucht. Der Film wurde produziert von ZDF Frontal und GKD-Journalisten Leipzig. Weltpremiere hat er auf der DOK-Leipzig am 8. Oktober 2023. Danach kommt er in die deutschen Kinos. Im ZDF wird der Film zum Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine zu sehen sein, also im Februar 2024 sowohl in der Mediathek und als auch im Fernsehen.

    Für den Direktor des Leipziger Dokumentarfilmfestivals Christoph Terhechte ist "White Angel - Das Ende von Marinka" mehr als ein Film über den Krieg. "Es ist ein Dokument der Menschlichkeit und der Sehnsucht nach Frieden." Dass die Dokumentation, für die ein Trailer bereits auf Youtube zu sehen ist, als Eröffnungsfilm auf der DOK-Leipzig gezeigt wird, sei für das Autor und Redaktion eine Auszeichnung, so ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten.

    Ginzel ist Autor und arbeitete vielfach in Kriegs- und Krisengebieten. In der Ukraine deckte er die Ermordung ukrainischer Zivilisten auf und die Entführung von Kindern aus russisch besetzten Gebieten. Für seine Arbeit wurde Ginzel ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Fernsehpreis.

    Quelle: ZDF

    "Engel" retten Hunderte Menschen aus Ruinen

    Pipa und sein Team haben Hunderte Menschen aus Kellern und Ruinen der Frontstadt gerettet, Zivilisten aus der Schusslinie geholt, Verwundete geborgen und Tote überführt. Nun droht ein zweiter Winter im Krieg, der nicht enden will. "Die Häuser weinen, vergießen Tränen, menschengleich", kommentiert Polizist Pipa das Ende von Marinka:

    Was einst so lebendig war, verfällt vor deinen Augen zu leblosen Steinhaufen, stirbt langsam aus.

    Vasyl Pipa

    Einen Trailer zum Film gibt es bereits auf Youtube zu sehen.
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