Assange in Straßburg - Experte: "Europa hat versagt"

    Interview

    Assange in Straßburg:Experte: "Europa hat versagt"

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    Der Wikileaks-Gründer spricht vor dem Europarat-Ausschuss in Straßburg. Menschenrechtsanwalt Manfred Nowak erklärt, welche Bedeutung das hat.

    Julian Assange hält eine Rede vor dem Europarat.
    Wikileaks-Gründer Julian Assange tritt seit seiner Freilassung erstmals öffentlich auf. In einer Rede vor dem Europaparlament spricht er auch über seine Kritik an der Justiz.01.10.2024 | 1:28 min
    Zum ersten Mal nach seiner Freilassung vor drei Monaten tritt Julian Assange heute öffentlich auf - vor dem Ausschuss für Recht und Menschenrechte des Europarates. Der kommt in einem Bericht zu dem Schluss, dass Julian Assange als politischer Gefangener eingestuft werden könne und fordert Großbritannien und die USA auf, den Umgang mit Assange aufzuarbeiten. Am Mittwoch wird die Parlamentarische Versammlung des Europarates über die Resolution abstimmen.
    ZDFheute: Wie ist jetzt der juristische Status von Julian Assange, wenn er nach Straßburg kommt?
    Nowak: Assange hat mit den Vereinigten Staaten eine Abmachung getroffen. Er hat eine Haftstrafe bekommen, die er allerdings schon abgesessen hatte und so ist er als freier Mensch in sein Heimatland Australien ausgereist. Das heißt, er ist nicht mehr verfolgt, ihm droht gar nichts mehr.
    Julian Assange (Archivbild vom 19.05.2017)
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    ZDFheute: Warum dann sein Auftritt vor dem Europarat?
    Nowak: Der Europarat hat sich auch in der Vergangenheit für Assange und für seine Freilassung eingesetzt. Die Vereinigten Staaten haben von Anfang an aus allen Rohren geschossen und versucht, ihm als Whistleblower habhaft zu werden. Und dann war es Europa, das hier versagt hat - insbesondere Schweden und das Vereinigte Königreich.

    Da ist ein Fall, wo demokratische Rechtsstaaten Europas sich von den USA sehr unter Druck haben setzen lassen. Das ist ein Einzelfall, wie wir ihn in den demokratischen Rechtsstaaten Europas und des Europarates nicht sehen wollen.

    Manfred Nowak, Jurist und Menschenrechtsanwalt

    Zukunft des Wikileaks-Gründers
    :Wie es mit Julian Assange weitergeht

    Auszeit, Familie, Politik? Seit wenigen Tagen ist Julian Assange ein freier Mann und in seine Heimat Australien zurückgekehrt. Was plant der Wikileaks-Gründer für die Zukunft?
    Julian Assange streckt seine Arme noch oben und zeigt zwei Daumen nach oben.
    ZDFheute: Was genau fordert der Ausschuss des Europarates in seinem Bericht?
    Nowak: Der Ausschuss will, dass Assange als politischer Gefangener anerkannt wird, dass anerkannt wird, dass er lange Zeit in England politischer Gefangener war. Und dass die Briten untersuchen, was hier alles falsch gelaufen ist. Insbesondere, wie es möglich war, dass er für so lange Zeit in einer reinen Auslieferungshaft im Hochsicherheitsgefängnis Bellmarsh festgehalten wurde, wo sonst Menschen festgehalten werden, die des Terrorismus verdächtigt oder verurteilt wurden.

    Es wird gefordert, dass die USA vor allem jene Verbrechen, die WikiLeaks ja klar dokumentiert hat, endlich auch wirklich untersuchen und die dafür Verantwortlichen auch vor Gericht stellen. Das ist eine Verpflichtung, die die USA haben und die sie nie erfüllt haben.

    Manfred Nowak, Jurist und Menschenrechtsanwalt

    Der Wikileaks-Gründer Julian Assange bei seiner Ankunft in Bangkok nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis.
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    ZDFheute: Was steckt hinter dem Begriff des politischen Gefangenen?
    Nowak: Völkerrechtlich gesehen ist der Begriff in keinem Vertrag definiert. Aber die parlamentarische Versammlung des Europarates hat schon im Jahr 2012 eine Resolution erlassen, wo sie den Begriff des politischen Gefangenen sehr klar definiert. Und zwar als jemand, der oder die entweder nur wegen einer Meinungsäußerung festgenommen wird, was ja in vielen Diktaturen der Fall ist.

    Manfred Nowak ist Völkerrechtler und lehrt am Institut für Internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien. Er war von 2004 bis 2010 als Sonderberichterstatter über Folter für den UN-Menschrechtsrat tätig.

    Oder der eine viel zu lange Haftstrafe bekommt für ein relativ kleines Delikt aus rein politischen Gründen. Und das ist in diesem Fall sehr klar: Assange ist aus rein politischen Motiven in London sehr, sehr lange in diesem Gefängnis festgesetzt worden. Das erfüllt die Kriterien des Europarates.

    Normalerweise sollte eine funktionierende rechtsstaatliche Demokratie keine politischen Gefangenen haben. Aber der Fall Assange ist hier eine gewisse Ausnahme, er zeigt die Grenzen des Rechtsstaates auch bei uns auf.

    Manfred Nowak, Jurist und Menschenrechtsanwalt

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    ZDFheute: Was genau könnte die Annahme der Resolution von der parlamentarischen Versammlung bewirken?
    Nowak: Das wäre nicht rechtlich bindend, aber es ist doch politisch gesehen eine sehr, sehr wichtige Entscheidung. Also, wenn die parlamentarische Versammlung einen Mitgliedsstaat auffordert, etwas zu tun oder zu unterlassen, dann hat das natürlich schon eine starke politische Wirkung. In der Regel halten sich die Staaten auch an solche Resolutionen der parlamentarischen Versammlung.
    ZDFheute: Wie groß ist die Chance, dass die USA und Großbritannien tatsächlich handeln?
    Nowak: Was das Vereinigte Königreich betrifft, waren die unterschiedlichen Regierungen der Konservativen für diese enge Zusammenarbeit mit den USA verantwortlich. Wir haben jetzt eine völlig andere Regierung. Daher könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die derzeitige Regierung diese Empfehlungen des Europarates ernst nimmt und auch wirklich den Fall Assange untersucht.
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    In den Vereinigten Staaten von Amerika fürchte ich, dass es wenig Auswirkungen haben wird, weil die Bereitschaft, die Verbrechen, die unter der Bush-Regierung im sogenannten Krieg gegen den Terror begangen wurden, die sind ja alle dokumentiert. Ich selbst habe sehr, sehr viele Fälle von Folter dokumentiert, die dann unter Obama hätten untersucht werden sollen. Es ist aber keines dieser Verbrechen untersucht worden. Ich glaube nicht, dass die USA jetzt anfangen werden, die Verbrechen, die damals, also vor 2010 begangen wurden, noch wirklich aufzuarbeiten.
    Das Interview führte Isabelle Schaefers, Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.

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    Quelle: ZDF

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