Darknet - zwischen Missbrauch und Oppositionsarbeit

    Missbrauch und Politik:Gutes Darknet, böses Darknet?

    von Stefan Mey
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    Behörden können das angebliche unkontrollierbare Darknet knacken, legt ein Medienbericht nahe. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht? Und stimmt es überhaupt?

    Typical: Cyberangriff, Hacker, Darknet
    Das Darknet gilt als Marktplatz für kriminelle Aktivitäten - aber es hat auch eine andere Seite
    Quelle: Imago

    Bei einer Recherche zum lahmgelegten Darknet-Missbrauchsforum "Boystown" hatten Journalisten herausgefunden, was als unvorstellbar galt: Die Polizei hatte den Betreiber des Forums identifiziert, weil sie die Anonymisierungstechnologie hinter dem Darknet knacken konnte.
    Dabei hatten die Behörden zum einem schlicht Glück: Der Betreiber hatte eine veraltete, besonders unsichere Version einer Darknet-Chatsoftware genutzt. Zum anderen ist das Darknet längst nicht so anonym, wie es der Mythos verspricht.
    Täter Christian Manfred K. im Dschungel von Paraguay
    Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um Missbrauchsdarstellungen von Minderjährigen und das pädokriminelle Netzwerk „Boystown“. Tatort des ungeheuren Verbrechens ist ein abgelegenes Haus im Dschungel im Norden von Paraguay.13.09.2022 | 12:53 min
    Gut so, sagen die einen. Immerhin beherbergt das Darknet Foren, auf denen Pädokriminelle ungestört Bilder und Videos des Missbrauchs von Kindern tauschen und sich zu neuen Missbrauchs-Taten anstacheln - wie im Fall von "Boystown". So einfach ist das nicht, erwidern andere. Ist die Technologie unsicher, gefährdet das auch Whistleblower und Oppositionelle.

    Die beiden Gesichter des Darknets

    Das Darknet ist widersprüchlich. Es basiert auf der Technologie Tor, die Internetkommunikation über mehrere Verschleierungsstationen ans Ziel leitet. Mit dem Tor-Browser kann man "normale" Webseiten anonym und zensurfrei aufrufen. Außerdem kann man mit Tor versteckte Darknet-Adressen einrichten, die sich weder blockieren noch löschen lassen.



    Das ermöglicht illegale Nutzungen: Im Darknet werden Waffen gehandelt, Cyberkriminelle veröffentlichen dort massenhaft gehackte Daten. Und das Darknet ist eine Schlüsselinfrastruktur für Pädokriminelle. Haben Behörden ein Missbrauchsforum gelöscht, dauert es nicht lange, bis ein Nachfolger eröffnet wird. Das Problem: Die Technologie sieht keinerlei Eingriffsmöglichkeiten vor.
    Porträtaufnahme von Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG, bei Interview
    Cihan Kuzkaya war forensischer Ermittler beim Wirtschaftsprüfer KPMG. Er sollte überprüfen, ob eine belgische Rüstungsfirma möglicherweise die Russland-Sanktionen umgeht. Sein Vorwurf: "Sie haben nicht genug getan, um die Wahrheit aufzudecken."11.07.2023 | 8:06 min

    Wer steht hinter der Tor-Technologie?

    Die Verschleierungsstation wird von der globalen digitalen Zivilgesellschaft betrieben. Die Betreiberin der Technologie hingegen ist die US-Nonprofit-Organisation "The Tor Project". Trägt sie nicht auch eine Verantwortung dafür, zumindest die übelsten Inhalte zu entfernen?
    Nein, schreibt Pavel Zoneff, Pressesprecher des Tor Projects, auf Anfrage von ZDFheute: "Es ist wichtig klarzustellen, dass das Tor Project kein Inhalte-Plattform wie TikTok, Instagram oder YouTube ist." Stattdessen sei Tor eine frei nutzbare Technologie. Man bedauere solche problematischen Nutzungen durch einen Bruchteil der User aber zutiefst.
    Sina Mainitz
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    Selbstregulierung im Darknet?

    Behörden können Darknet-Adressen nicht sperren oder löschen. Auch die Organisation und die Verschleierungsstationen selbst können das nicht. Ließe sich die Technologie nicht vielleicht so umbauen, dass es zumindest irgendeine Form von Selbstregulierung gibt?
    Davon hält das Tor Project nichts, schreibt Zoneff:

    Die Einführung von Mechanismen zur Überwachung oder Blockierung von Inhalten auf Tor würde den Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit untergraben, auf den sich Millionen legitimer Nutzer verlassen.

    Pavel Zoneff, Pressesprecher des Tor Projects

    Den Einbau von "Hintertüren" lehne man kategorisch ab.
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    Politische Seite

    Böses, böses Darknet? Bei der Diskussion wird die politische Dimension der Technologie oft vergessen. Medien wie die "New York Times", der "Spiegel" oder der NDR betreiben anonyme Postfächer für Whistleblower im Darknet. Und mithilfe des Tor-Browsers können Menschen in Ländern wie Russland, China oder Saudi-Arabien an staatlicher Internetzensur vorbei ins freie Internet gelangen. Wenn Behörden Tor tatsächlich knacken können, würde das auch deren Sicherheit gefährden.
    Die Erkenntnis, dass Deanonymisierung im Darknet möglich ist, ist eigentlich ein alter Hut. Vereinfacht gesagt beobachten Behörden dabei den Datenverkehr - wer ins Tor-Netzwerk eintritt und es Millisekunden später wieder verlässt. Mit etwas Glück können sie anhand technischer Muster erkennen, dass ein ein- und ein austretender Datenstrom zusammengehören. Die Anonymisierung ist geknackt.
    Bundeskriminalamt zur Entwicklung der Cyberkriminalität
    Cyberkriminalität bedroht Kommunen und Unternehmen immer mehr. Im letzten Jahr stiegen Angriffe aus dem Ausland um fast 30 Prozent. Sie verursachten Milliarden-Schäden.13.05.2024 | 2:22 min

    Deanonymisierung sehr aufwendig

    Tatsächlich ist die Technologie verwundbar. Der Pressesprecher des Tor Projects schreibt, dass solche Angriffe aber extrem Ressourcen-aufwendig seien. Die Organisation arbeite außerdem daran, sie noch weiter zu erschweren.
    Ja, in der der Theorie funktionieren solche Angriffe, meint auch Katharina Kohls, Professorin für Systemsicherheit an der Ruhr Universität Bochum. Allerdings sei unklar, wie erfolgreich sie in der Praxis sind. Dabei gebe es eine grobe Formel:

    Je besser Behörden in der Lage sind, das normale Internet zu überwachen, desto besser geht das auch im Tor-Netzwerk und damit im Darknet.

    Katharina Kohls, Professorin für Systemsicherheit

    Eine Gesamtüberwachung von Tor sei wohl zu aufwendig. Eine gezielte Überwachung, um eine bestimmte Person zu finden oder zu beobachten, sei eher denkbar.
    Polizeichef Steve Li Kwai-wah spricht zu den Medien.
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    Behörden und das Darknet: Viele offene Fragen

    Wie gut welche Behörden Tor und das Darknet tatsächlich knacken können, können diese nur selbst beantworten.
    Die Antwort auf eine andere Frage hingegen muss jeder für sich selbst finden. Ist es gut, dass das Darknet doch kein unkontrollierbarer Raum ist, weil so viel Übles dort geschieht? Oder ist es eine Katastrophe, weil die Technologie auch für politische Nutzungen keine absolute Sicherheit bietet? Oder ist vielleicht sogar beides richtig?

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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