Entführte Israelis: Welche Befreiungs-Möglichkeiten es gibt

    Experte zu entführten Israelis:Warum Verhandlungen unwahrscheinlich sind

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    Viele Menschen werden getötet, viele entführt: Aus welchem Kalkül die Terroristen Israelis verschleppen - und wie sie befreit werden könnten, erklärt ein Verhandlungsexperte.

    "Sie schießen auf uns. Ich blute. Ich habe Angst zu sterben. Ich weiß nicht, was ich tun soll." Eine Mutter erzählt vom letzten Anruf ihrer Tochter. Romy ist eine der überwiegend jungen Menschen, die am Samstag ein Musikfestival in Israel besuchen, bevor radikalislamische Terroristen die Veranstaltung stürmen.
    Mehr als 260 Menschen werden erschossen. Dutzende Besucher werden von dem Fest verschleppt und in den Gazastreifen entführt - darunter auch Romy. Bilder und Videos zeigen, wie Menschen auf Motorrädern, Caddys und Autos weggebracht werden. Auch aus anderen Teilen Israels. Teilweise sind die Opfer mit weißen Tüchern verhüllt.
    Soldaten salutieren vor Netanjahu
    Tausende junge Menschen hatten ausgelassen gefeiert. Dann Luftalarm, Raketen, Schüsse. 09.10.2023 | 2:00 min

    Verhandlungsexperte: "In dieser Dimension noch nie passiert"

    Das Ausmaß ist im seit Jahrzehnten andauernden Nahost-Konflikt einmalig. "In dieser Dimension ist so etwas noch nie passiert", sagt Verhandlungsexperte Matthias Schranner, der lange als Spezialist für Geiselnahmen im Bundesinnenministerium zuständig war, im Gespräch mit ZDFheute live.
    Er geht davon aus, dass die Angriffe und Entführungen mit "Sicherheit von oberster Stelle sehr lange geplant" wurden. Das sehe man daran, wie geplant und organisiert die Terroristen die Menschen entführt hätten. Ein Kalkül der Terroristen dürfte aus Sicht Schranners dabei die Verwendung der Verschleppten als sogenannte menschliche Schutzschilde sein.

    Was die Terroristen mit den Entführungen beabsichtigen

    Das heißt: Die Entführung der Israelis in den Gazastreifen soll aus Sicht der Angreifer die israelische Führung davor bewahren, die Palästinensergebiete zu bombardieren. Denn: Wohin die Verschleppten genau gebracht wurden, ist ungewiss. Schläge der israelischen Armee würden mit großer Wahrscheinlichkeit ihre eigenen Landsleute nicht verschonen.
    Laut Genfer Konvention ist dieses Vorgehen der Hamas verboten: Zivilpersonen als Schutzschild für militärische Ziele zu missbrauchen oder die Bewegungen der Zivilbevölkerung so zu lenken, dass sie militärische Ziele vor Angriffen abschirmen oder Kriegshandlungen decken, richtet sich gegen das Völkerrecht.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)

    ZDFheute Infografik

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    Videos und Bilder der Opfer enthüllen Aufenthaltsort nicht

    Dass die kursierenden Bilder und Videos dabei helfen, den Aufenthaltsort der Opfer zu lokalisieren, glaubt der Verhandlungsexperte nicht. Bei der Art und Weise, wie die Angriffe "orchestriert" wurden, könne er sich nicht vorstellen, dass die Terroristen "so unprofessionell sind, und die Entführten an ein Mobiltelefon lassen".
    Reservisten, die gegen die Regierung demonstrieren.
    Der Großangriff der Hamas traf Israel, als das Land besonders verwundbar war. 09.10.2023 | 2:15 min

    Wie können Israelis befreit werden?

    Laut Schranner gibt es zwei Möglichkeiten, um die Entführten zu befreien. Bei einer militärischen Lösung würden israelische Bodentruppen den Gazastreifen "Haus für Haus durchkämmen", was natürlich "unglaublich schwierig" sei, so Schranner. "Das ist schon ein riesiger Aufwand (…) und super riskant."
    Die zweite Möglichkeit, die es gebe, sei die Verhandlung. "Also tatsächlich versuchen, über Hintergrundgespräche herauszufinden, was die Hamas jetzt damit bezwecken möchte." Denn: Es müsse ja einen Grund haben, warum Terroristen "die Geiseln eben nicht erschossen, sondern mitgenommen haben".

    Gespräche mit Hamas? Alles deutet auf Gewalt hin

    Dass man den Gegner kenne, darin sieht Schranner einen großen Vorteil. Die Hamas sei "sehr stark hierarchisch organisiert". Man wisse dadurch, "mit wem man reden muss", damit man zu einer möglichen Einigung kommen könnte. Schranner schlägt vor, Diplomaten zu aktivieren, die im Hintergrund immer Verbindungen zu den Terrorgruppen gehabt haben.
    Dennoch würden die Zeichen derzeit eher gegen einen Verhandlungsprozess deuten. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu habe auch gesagt, dass dieser Krieg das gesamte Gebiet, die gesamte Region verändern wird, betont Schranner.

    Alle Signale gehen auf Gewalt - und kein einziges Signal geht auf Gespräche.

    Matthias Schranner, Verhandlungsexperte

    Ehemaliger Sicherheitsberater: Geiseln werden Israel nicht aufhalten

    Davon geht auch Jaakov Amidror aus, ein ehemaliger Sicherheitsberater von Netanjahu. Die Entführungen würden die Regierung nicht davon abhalten, den Gazastreifen zu bombardieren, bis die Hamas zerstört sei, glaubt er.
    Dass die Gewalt weiter eskaliert, darauf deutet auch die Ankündigung der Hamas, die Entführten zu töten, sollte Israel ohne Vorwarnung die Häuser von Zivilisten im Gazastreifen bombardieren. 




    Quelle: ZDF, dpa, AFP

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