Nahost-Konflikt: "Irans Angriff hatte eine neue Qualität"

    Interview

    Nahost-Experte Jan Busse:"Irans Angriff hatte eine neue Qualität"

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    Nahost-Experte Jan Busse erklärt, warum die Situation zwischen Israel und Iran weiter eskalieren könnte. Eine geografische Ausweitung des Kriegs im Südlibanon hält er für möglich.

    UN-ISRAEL-PALESTINIAN-IRAN-CONFLICT-LEBANON
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    Am Dienstagmorgen hat Israel eine Bodenoffensive im Libanon gestartet, am Abend musste sich das Land gegen iranischen Raketenbeschuss verteidigen. Wie entwickelt sich der Konflikt zwischen Israel und Iran mit seinen verbündeten Milizen weiter? Nahost-Experte Jan Busse von der Universität der Bundeswehr in München ordnet die neuesten Geschehnisse im Gespräch mit ZDFheute ein.
    ZDFheute: Herr Busse, was bedeuten die jüngsten Ereignisse für die Situation im Nahen Osten?
    Jan Busse: Die Lage in der Region ist momentan hochgradig angespannt. Die Zeichen stehen weiter auf Eskalation. Vieles hängt jetzt davon ab, wie Israel auf den Angriff Irans reagieren wird.
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    ZDFheute: Wann könnte eine solche Reaktion erfolgen - und wie könnte sie aussehen?
    Busse: Das ist schwer zu sagen. Israel hat schon durchblicken lassen, dass es dieses Mal iranische Öl- oder Atomanlagen angreifen könnte. Aber wann oder wie genau es zu einer Reaktion kommen wird, lässt sich von außen nicht vorhersagen.
    ZDFheute: Bereits vor einigen Monaten wurde Israel durch Iran aus der Luft angegriffen. Was war diesmal anders?
    Busse: Bei der Attacke Irans im April wurden neben ballistischen Raketen vor allem Drohnen und Marschflugkörper mit relativ langen Flugzeiten eingesetzt. Am Dienstag hat Iran ausschließlich mit ballistischen Raketen angegriffen, die Israel in zwölf Minuten erreichen konnten. Die Vorbereitungszeit zur Abwehr der Geschosse war viel kürzer, da es im April Tage vorher bereits eine Warnung Irans gab - und der Angriff hatte damit eine völlig andere Qualität.
    Katrin Eigendorf | ZDF-Reporterin in Kirjat Schmona/Israel
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    ZDFheute: Iran behauptet zudem, erstmals auch Hyperschallraketen eingesetzt zu haben.
    Busse: Ob Iran am Dienstagabend wirklich Hyperschallraketen eingesetzt hat, macht qualitativ keinen Unterschied. Israel konnte den Angriff schließlich ohne größere Schäden abwehren.
    ZDFheute: Wenige Stunden vor dem Raketenangriff startete das israelische Militär offiziell eine Bodenoffensive im Südlibanon. Kann die pro-iranische Hisbollah-Miliz dem noch etwas entgegensetzen?
    Busse: Die Hisbollah scheint erheblich geschwächt zu sein, nachdem wichtige militärische Infrastruktur durch die Bomben zerstört und die Führungsebene der Organisation um Hassan Nasrallah ausgeschaltet wurde. Die Frage ist jetzt, wie sich die Miliz davon erholen kann. Die Hisbollah verfügt noch immer über ein erhebliches Raketenpotenzial, das bisher nicht eingesetzt wurde.
    Jan Busse
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    ZDFheute: Warum zögert die Miliz mit dem Einsatz der Raketen?
    Busse: Die Hisbollah feuert zwar weiterhin Raketen auf Israel, hat bislang aber auf die Verwendung von Präzisions-Marschflugkörpern verzichtet. Es ist nicht auszuschließen, dass dies auf Anweisung Irans geschieht, weil diese Raketen besonders wirksam sind und für den Fall einer direkten Konfrontation zwischen Iran und Israel zurückgehalten werden sollen.
    Denkbar ist aber auch, dass die Kommandostrukturen der verantwortlichen Einheiten derart geschwächt sind, dass die Hisbollah derzeit nicht in der Lage ist, die Marschflugkörper abzufeuern.
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    ZDFheute: Wie werden sich die Konflikte zwischen Iran mit seinen verbündeten Milizengruppen und Israel weiterentwickeln?
    Busse: Es besteht die Gefahr einer fortschreitenden Eskalation. Auch der Krieg Israels gegen die Hisbollah im Libanon könnte sich geografisch ausweiten und seine vermeintliche Begrenzung auf den Süden des Landes verlieren. Ob es so kommt, ist auch davon abhängig, wie Iran sich verhält. Es droht im Nahen Osten eine Fortsetzung der Eskalationsspirale - obwohl eigentlich keiner der beteiligten Akteure ein Interesse daran haben dürfte.
    Das Interview führte Julian Vulturius.

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