Frankreich: Prozessauftakt um Ermordung im Fall Samuel Paty
Prozess in Frankreich:Mord an Lehrer: Die Frage nach Verantwortung
von Lisa Louis, Paris
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Mehrere Personen stehen für ihre mutmaßliche Rolle beim Mord an einem Lehrer in Paris vor Gericht. Anwälte sehen in dem Prozess eine symbolische Bedeutung.
Vor vier Jahren wurde der Geschichtslehrer Samuel Paty von einem Islamisten ermordet. Seit heute läuft der Prozess gegen acht Personen, die wegen Beihilfe vor Gericht stehen. 04.11.2024 | 1:58 min
Das Attentat auf den Geschichtslehrer Samuel Paty am 16. Oktober 2020 in einem Vorort von Paris sorgte weltweit für Entsetzen. Ein 18-jähriger Russe tschetschenischer Abstammung hatte damals auf Paty eingestochen und ihn dann geköpft, weil der Lehrer in einer Unterrichtsstunde über Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Das Motiv: Der Lehrer soll den Propheten beleidigt haben. Den Attentäter hatte die Polizei kurz nach dem Anschlag erschossen.
Die Karikaturen des Propheten Mohammed, die Samuel Paty in einer Unterrichtsstunde zeigte, waren in der Zeitschrift Hebdo abgedruckt. Auch in der Redaktion und Umgebung des Blattes hatten im Januar 2015 zwei islamistische Attentäter zwölf Menschen getötet - ebenso wie im Falle Patys warfen sie den Journalisten vor, den Propheten beleidigt zu haben. Der Hauptbeschuldigte im Fall Charlie Hebdo wurde zu einer Haftstrafe von 30 Jahren verurteilt.
Mord an Samuel Paty: Angeklagten drohen lange Haftstrafen
Zwei Angeklagten wirft die Anklageschrift vor, Komplizen des Attentäters gewesen zu sein. Sie sollen ihm unter anderem bei der Beschaffung von Waffen geholfen oder ihn zum Tatort gefahren haben. Den beiden Männern droht lebenslängliche Haft. Laut französischem Recht könnten sie dann erst nach 30 Jahren eine vorzeitige Entlassung beantragen.
Fünf weitere Männer und eine Frau werden beschuldigt, Mitglied einer Terror-Vereinigung zu sein. Sie sollen den Attentäter ermutigt oder auch geplant haben, sich in Syrien der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Diesen Angeklagten drohen bis zu 30 Jahre Haft.
In einem Pariser Vorort ermordete 2020 ein Islamist den Lehrer Samuel Paty.08.12.2023 | 2:04 min
Anwälte betonen Symbolwirkung
Thibaut de Montbrial, Anwalt von Samuel Patys Schwester Mickaëlle, hofft, dass der Prozess zu einem Umdenken führt. "Uns allen sollte klar sein, dass heutzutage einen Lehrer als islamfeindlich zu bezeichnen, diesen der Gefahr aussetzt, geköpft zu werden", sagte er vor dem Gerichtssaal am Montagmorgen.
Für Antoine Casubolo Ferro, unter anderem Anwalt von Kollegen Patys, hat dieser Prozess zudem eine symbolische Bedeutung. "Man hat einen Geschichtslehrer dafür getötet, dass er die Laizität, die Trennung von Kirche und Staat, und Meinungsfreiheit lehrt", sagt er. "Die, die sich über Samuel Patys Tod gefreut haben, sollten dafür geradestehen müssen." In Frankreich gilt eine strikte Trennung von Kirche und Staat, laut der Gotteslästerung klar erlaubt ist.
Jean-Rémi Girard, Präsident der Lehrergewerkschaft SNALC, sagt, dass seit dem Anschlag auf Paty die Regierung Maßnahmen ergriffen habe, um Lehrer besser zu schützen. "Wir kriegen jetzt schneller Personenschutz, wenn wir das beantragen, weil wir uns bedroht fühlen", sagt er ZDFheute. "Und immerhin sind ein paar Schulen jetzt besser abgesichert - selbst, wenn das bei den meisten der 60.000 noch nicht der Fall ist." Trotzdem sollte der Staat mehr tun, um Online-Hetzkampagnen vorzubeugen und Schülern das Prinzip der Laizität nahe zu bringen, fügt er hinzu. Tatsächlich gibt es regelmäßig Berichte über Verstöße von Schüler gegen diese Neutralität. Vergangenen Oktober ermordete zudem ein radikalisierter Attentäter den Lehrer Dominique Bernard im nördlichen Arras.
Frankreich: Zweiter Prozess im Fall Paty
Dies ist der zweite Prozess zum Attentat auf Paty: Vor etwa einem Jahr verurteilte ein Pariser Gericht sechs Minderjährige zu bis zu zwei Jahren Gefängnis, größtenteils auf Bewährung.
Unter ihnen war ein Mädchen, das behauptet hatte, Paty hätte sie und andere muslimische Schüler der Klasse verwiesen, bevor er die Karikaturen zeigte. Dabei hatte sie dem Unterricht gar nicht beigewohnt - und nur eine Ausrede dafür gesucht, dass sie zeitweise suspendiert worden war. Dennoch erzürnte ihre Erzählung ihren Vater so sehr, dass dieser eine regelrechte Online-Hetzkampagne mit Videos und Kommentaren gegen Paty startete. Dadurch wurde der Attentäter auf den Lehrer aufmerksam.
Der Vater des Mädchens ist nun unter den Angeklagten - genauso wie ein islamistischer Aktivist, der mit ihm zusammen einige der Videos gedreht hat. Dennoch plädiert Vincent Brenghart, Anwalt dieses Aktivisten, dafür, dass man dessen Rolle nicht überschätzen und ihn nicht für etwas Symbolisches verurteilen solle. "Es ist nicht bewiesen, dass der Attentäter das Video meines Klienten tatsächlich gesehen hat - die Richter sollten ihn freisprechen", sagte er gegenüber ZDFheute.
Das Urteil will das Gericht am 20. Dezember verkünden.
TikTok ist auch bei muslimischen Jugendlichen beliebt. Islamistische Influencer erreichen auf der Plattform Millionen. Über Alltagsthemen verbreiten sie ihre radikalen Gedanken.
von Hassan Rascho
Quelle: dpa
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