EU-Sondergipfel: 800 Milliarden für die Aufrüstung

Analyse

EU-Sondergipfel:Europa - ein Scheinriese will wachsen

von Julia Rech und Ulf Röller
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800 Milliarden will die EU in den nächsten Jahren für Aufrüstung ausgeben. Es soll ein Zeichen an Washington und Moskau sein - nach dem Motto: Wir haben verstanden.

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Wer diesen Gipfel betrachtet, erinnert sich vielleicht an das Abenteuer-Märchen von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer": Dort gibt es die literarische Figur des Scheinriesens namens Tur Tur. Der wirkt aus der Ferne furchteinflößend. Doch mit jedem Schritt auf ihn zu schrumpft er. Am Ende steht man vor einem kleinen Mann.
Die EU hat sich auf diesem Gipfel mächtig aufgeplustert. Eine Zahl soll Größe und Macht symbolisieren: 800 Milliarden wollen die Europäer für Verteidigung ausgeben. Auch verbal rüstet die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf und verspricht eine Wiederbewaffnung Europas.
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Hört, hört, scheint sie in die Welt hinauszurufen. Nach dem Motto: Europa hat verstanden, wir wollen uns in Zukunft selbst verteidigen. Der Gipfel macht aus der EU eine Verteidigungsunion. Europa als Riese. Zumindest sollen das die beiden Herren, Donald Trump und Wladimir Putin, glauben. Sie schauen aus der Ferne auf Brüssel. Von der Leyen winkt mit 800 Milliarden zurück und hofft, dass die beiden nicht näherkommen. Scheinriesen mögen das nicht.

Trotz Milliarden: Aufrüstung in Europa wird dauern

800 Milliarden, das ist schon ein großer Scheck, aber bei genauerer Betrachtung steht da erst mal nur eine Zahl, eine politische Absichtserklärung. Mehr nicht. Es wird Monate dauern, bis das erste Geld fließt, bis die ersten Waffen bestellt sind und die erste Munition gekauft ist. Keiner kann heute sagen, ob aus dem Scheinriese ein richtiger wird.
Die 800 Milliarden können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sicherheit der EU noch viele Jahre von den USA abhängen wird. Der Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie ist eine Generationenaufgabe, aber der Mann im Weißen Haus zertrümmert im Minutentakt politische Weisheiten. Er rückt uns mit seiner Wut und Unberechenbarkeit auf die Pelle. Mit jedem Schritt schrumpft die EU wie der Scheinriese Tur Tur.
Zuhörer, die auf Stühlen sitzen, schauen zu einer Bühne, auf der gesprochen wird.
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Ob Trump die 800 Milliarden beeindrucken, ob sie ihn besänftigen und davon abhalten, Europa schutzlos zu hinterlassen, weiß keiner. Auf dem Gipfel jedenfalls spürte man die Angst der Regierungschefs. Immer wieder der Appell mit Trump zusammenzuarbeiten.

EU zeigt sich geeint mit Wolodymyr Selenskyj

Das gilt vor allem für einen, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: wieder einmal der Stargast auf dem Gipfel, wieder einmal ein herzlicher Empfangen von Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsidenten António Costa. Minutenlang standen sie zu dritt vor den Kameras. Das Gegenbild zum Rausschmiss Selenskyjs im Weißen Haus.
Aber intern wurde Selenskyj deutlich gemacht, er muss auf Trump zu gehen. Denn ohne die USA und deren militärische Hilfe überlebt die Ukraine nicht lange.

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FAQ

Victor Orban gegen Militärpaket für die Ukraine

Selenskyj weiß das. Denn von den 800 Milliarden bekommt er erst Mal nichts. Auf dem Gipfel ging er leer aus. Geplant waren eigentlich rund sieben Milliarden als direkte Hilfe für die Ukraine, vorgesehen für Munition und Waffen. Aber dieses Militärpaket hätten die Regierungschefs einstimmig verabschieden müssen.
Der Gegenspieler von Selenskyj Victor Orban hatte etwas dagegen. Orban spielte wieder einmal seine Lieblingsrolle als Blockierer. Mit dem ungarischen Präsidenten sitzen Trump und Putin mit am EU-Verhandlungstisch. Nichts wirklich Neues, aber Orban nervt die anderen. Denn er schwächt die EU.
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Sicherheit in Europa: Keine Zeit für Illusionen

Selenskyj kennt die wahre Größe und Stärke der EU. Scheinriesen können ja auch wunderbar sein. Herr Tur Tur aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" ist ein freundlicher Mann gewesen, der darunter litt, dass alle Angst vor ihm hatten. Da endet das Märchen als Vergleich.
Europa muss auch bei genauen Hinsehen gewaltig bleiben, denn echte und böse Riesen umringen es. Die 800 Milliarden muss die EU mit politischen Leben füllen. Sie dürfen keine optische Illusion bleiben. Es ist keine Zeit für Illusionen.

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Quelle: dpa

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