Donald Tusk statt PiS? :Polen-Wahl: Warum die EU jubelt - vorsichtig
Migrationspolitik, Ukrainehilfe, Klimaschutz: Mit Donald Tusk als Partner fiele der EU vieles leichter. Warum es für Freude trotzdem zu früh ist.
"Game changer"? Brüssel hofft nach der Polen-Wahl auf eine neue EU-Politik in Warschau. (Archivbild)
Quelle: Imago
"Wäre", "könnte", "sollte". Brüssels Blase jubelt in der Möglichkeitsform. Am Morgen nach der Wahl auf X, ehemals Twitter, vorsichtige Worte für "große Hoffnungen": "Wir brauchen Polen zurück im Herzen Europas", schreibt die sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende im Europa-Parlament, Iratxe Garcia Perez.
Das "wäre ein sehr großer Gewinn für die Rechtsstaatlichkeit", meint der grüne Abgeordnete Daniel Freund. Nur die Europäische Volkspartei, der sowohl die deutschen Unionsparteien als auch Donald Tusks Bürgerplattform angehören, ist schon sicher: "Die Polen haben den Wandel, sie haben Europa gewählt."
"Die polnische Opposition hat einen historischen Sieg davongetragen", so Rolf Nikel, ehemaliger deutscher Botschafter in Polen. Dennoch "muss man sich auf einen langwierigen Formierungsprozess einstellen."16.10.2023 | 4:07 min
Warum Brüssel noch vorsichtig ist
Dazu Bilder langer Schlangen vor Wahllokalen bis spät in die Nacht, in Polens liberalen Hochburgen wie Breslau, genauso wie in der polnischen Diaspora, von Berlin über London bis Palermo. Die Bürgerplattform des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und zwei weitere Oppositionsparteien kommen nach einer in der Nacht veröffentlichten Nachwahl-Umfrage auf über 53 Prozent der Stimmen. Viele in Brüssel sagen, das wäre ein "game changer". Es wäre.
Doch die Vorsicht hat Gründe: Umfragen nach der Wahl sind keine Ergebnisse. Montagmittag sind nach Angaben der Wahlbehörde erst rund die Hälfte der Wahlkreise ausgezählt. Zudem ist Polens Prozedere zur Regierungsbildung langwierig, die Regierung könnte erst im Januar stehen. Bis dahin muss die Opposition, so wie sie das am Wahlabend beschwor, zusammenhalten - und die PiS kann das Ergebnis noch vor Gericht anfechten.
EU-Kommission: Kommentieren "nie Wahlergebnisse in Mitgliedsstaaten"
Darum hält sich die EU-Kommission offenbar nur zu gern an Prinzipien: "Wir kommentieren nie Wahlergebnisse in Mitgliedstaaten", sagt ein Sprecher Montagmittag. Die
EU hält im Streit mit Polen um die Justizreform 35 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds zurück. In der Sache gäbe es keine Änderung, so der Sprecher. Auch nicht im Lichte dieses Wahlabends.
Hinter den Kulissen ist die Erwartung klar: Egal, wer in Polen gewinnt, er muss keinen Wahlkampf mehr führen, muss nicht auf Kosten der EU Stimmen fangen. "Es wird weniger Blockaden geben", ist sich ein hoher EU-Beamter sicher. Und: Jeder Wahlsieger müsse dafür sorgen, dass Polens Wirtschaft weiter floriere. Jedem wären dafür Brüssels Milliarden willkommen.
Im Januar 2025 übernimmt Polen die Ratspräsidentschaft - unter Tusk?
Bei Blockaden geht es um Politikbereiche, in denen die EU-Regeln Einstimmigkeit verlangen, etwa die Außenpolitik oder den Haushalt. Ungarn blockiert auf diese Weise die Auszahlung eines Teils der Ukraine-Hilfe. Polens Ministerpräsident weckte zuletzt auch Zweifel an der Unterstützung seines Lands für die Ukraine, blockiert aber selbst nicht. Der Plan der EU, die Hilfe in den nächsten fünf Jahren um 20 Milliarden Euro aufzustocken, dürfte an einem Wahlsieger Tusk wohl kaum scheitern.
Bei der Asyl- und Migrationspolitik halten Polen und Ungarn dagegen. Für den Kompromiss, auf den sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben, reichte aber eine qualifizierte Mehrheit. Dabei müssen 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Auch Tusk sprach sich im Wahlkampf gegen eine Umverteilung von Flüchtlingen aus. Über einen finanziellen Ausgleich dafür dürfte sich die EU mit ihm aber eher einigen können.
Die Regierungspartei PiS ist weiterhin die stärkste Kraft in Polen, doch das oppositionelle Dreierbündnis um Donald Tusk kann eine Mehrheit bilden. Ist ein Regierungswechsel möglich?16.10.2023 | 2:34 min
Ohnehin kommt die EU ans Ende der Legislatur, spürbar besonders beim Klimaschutz, wo die größten Gesetze beschlossen sind. Vom 6. bis 9. Juni 2024 sind Europa-Wahlen. Ein Wahlsieg des Liberalen Tusk nährt in Brüssel die Hoffnung, dass auch dann europafreundliche Parteien Aufwind haben. Und noch eine Aussicht dürfte Brüssel gefallen: Im Januar 2025 übernimmt Polen die Ratspräsidentschaft. Unter einer Regierung Tusk. Vielleicht.