"Neue Gebärkultur": Chinas Frauen unter Druck

    Bevölkerungsschwund:"Neue Gebärkultur": Chinas Frauen unter Druck

    Elisabeth Schmidt, Korrespondentin ZDF-Studio Peking
    von Elisabeth Schmidt, Peking
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    Vor zehn Jahren lockerte China seine strenge Ein-Kind-Politik. Doch der Babyboom blieb aus. Statt Reformen auf den Weg zu bringen, setzt die Staatsführung nun Frauen unter Druck.

    Familie mit einem Kind in der Mitte
    Da Chinas Gesellschaft zu überaltern drohte, lockerte China vor genau zehn Jahren die Ein-Kind-Politik. Die Statistik zeigt: Der Geburtenschnitt pro Frau ist immer noch gering. 28.12.2023 | 1:33 min
    Im Himmelstempel-Park in Peking flattern sie in Rosa und Hellblau, eine Din-A4-Seite groß und voll mit Informationen: "Sie ist 1982 geboren, 1,65 Meter groß, wohnt in Shanghai, hat ein eigenes Auto und einen Masterabschluss". "Er arbeitet bei einer ausländischen Firma, hat nie geheiratet und besitzt eine eigene Wohnung in Peking". Die Heiratsanzeigen hängen an einer Art Wäscheleine. Aufgehängt haben sie vor allem besorgte Eltern und Großeltern.
    Auch Profile auf Dating-Plattformen sollen manche bereits für ihre Kinder und Enkel erstellt haben. Das Phänomen ist nicht neu, wohl aber der Grund: War es vor einigen Jahren in China noch schwer, überhaupt einen Ehepartner zu finden, wollen das heute immer weniger: nicht heiraten, keine Kinder bekommen. Für die Staatsführung ein Horrorszenario.
    chinesische Frauen im Bewerbungsprozess
    China ist eine wirtschaftliche Großmacht. Doch der Motor stottert. Viele junge Chinesen sind arbeitslos. Welche Perspektiven hat Chinas Jugend? 07.06.2023 | 7:51 min

    Die Lebenshaltungskosten "zu hoch" in China

    Gebar in den 1970er Jahren eine Frau in China statistisch noch 6,0 Kinder, sind es heute nur noch 1,0 - und das sind nur die offiziellen Zahlen. Einige Forschende gehen davon aus, dass die Geburtenzahl sogar noch niedriger liegt. "Ein Kind reicht mir völlig", sagt Chen, die wir in Peking beim Spazierengehen mit ihrem kleinen Sohn treffen. Sie habe nicht genug Energie, ein zweites Kind großzuziehen. Li und seine Freundin wollen gar keinen Nachwuchs. "Zu viel Druck", sagt er.

    Die Lebenshaltungskosten, um ein Kind groß zu ziehen, sind heutzutage sehr hoch. Das soziale Umfeld zwingt alle Kinder, Nachhilfeunterricht zu nehmen. Wir können uns keine Kinder leisten.

    Chen, Einwohnerin Pekings

    Wirtschaftskrise und hohe Jugendarbeitslosigkeit

    Die Immobilienpreise haben sich in großen Städten in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Die Wirtschaftskrise und hohe Jugendarbeitslosigkeit verschärfen die Situation zusätzlich. "Wir verdienen zu wenig", klagt Tian. Ein Kind in China großzuziehen, ist weltweit mit am teuersten.



    Manche Eltern stecken ein komplettes Jahresgehalt in ihre Kinder. Kindergeld vom Staat, wie in Deutschland, gibt es nicht. Doch statt groß angelegter Reformen vollzieht Chinas Führung eine konservative Rolle rückwärts.

    Xi Jinping will "neue Ehe- und Gebärkultur"

    Schon seit Jahren brandmarkt die Propaganda unverheiratete Frauen als 剩女 (Shengnü), also "übriggebliebene Frauen". Auf dem nur alle fünf Jahre tagenden Plenum des chinesischen Frauenverbands forderte Staatschef Xi Jinping eine "neue Ehe- und Gebärkultur".
    Funktionäre rufen nach höheren Geburtenraten. Mütter und Großmütter geben diesen Druck bereits an ihre Töchter und Enkeltöchter weiter. Doch ob diese Strategie aufgeht, ist höchst fraglich.
    Eine Grafik zeigt das Bevölkerungswachstum von China im Verhältnis zu Indien.
    Indiens Bevölkerung wächst immer weiter. Laut Prognose wird das Land im Jahr 2100 sogar doppelt so viele Einwohner haben wie China. 14.04.2023 | 0:33 min

    "Ein Kind würde viel Geld kosten"

    Viele junge Chinesinnen und Chinesen wollen mittlerweile selbst etwas von ihrem hart verdienten Geld. Zheng erläutert:

    Ein Kind würde viel Geld kosten. Mit diesem Geld könnte ich reisen. Ich müsste auf vieles verzichten, auf Shopping oder meine Arbeit.

    Zheng

    Chinas junge Generation hat heute andere Lebensziele. "Die chinesische Regierung sollte dringend ein Familienprogramm auflegen mit finanzieller Unterstützung - Steuererleichterungen, Direktzahlung, Subventionen. All das, was europäische Länder auch gemacht haben", fordert James Liang.
    Mutter und ihre rennenden Kinder mit Mundschutz auf einer Straße in Peking
    Obwohl die Ein-Kind-Politik seit einigen Jahren aufgehoben wurde, wollen viele Chinesen nicht mehr als ein Kind bekommen. 20.09.2023 | 6:19 min

    Folgen für China: Überalterung und Fachkräftemangel

    Der Ökonom und Mitgründer eines Reiseportals hat an der US-Elite-Uni Stanford zu den wirtschaftlichen Folgen von Bevölkerungsschwund promoviert. Auch die Arbeitgeber seien in der Pflicht, die Vereinbarung von Familie und Beruf zu erleichtern.
    Andernfalls befürchtet der Ökonom gravierende Folgen für Chinas Wirtschaft. China drohe Überalterung und Fachkräftemangel, ähnlich wie Japan, doch mit einem entscheidenden Unterschied: Ein gängiger, sorgenvoller Spruch hierzulande lautet: "China wird alt, bevor es reich wird".

    Drohende Überalterung
    :Was steckt hinter Chinas Bevölkerungsschwund?

    China trägt seine Weltmachtambitionen offen zur Schau. Doch nun droht dem Riesenreich ausgerechnet die Basis dafür wegzubrechen: die eigene Bevölkerung.
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    China: Ein Mann zieht ein Mädchen in einem Bollerwagen.
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