Was steckt hinter Chinas Bevölkerungsschwund?

    Drohende Überalterung:Was steckt hinter Chinas Bevölkerungsschwund?

    von Elisabeth Schmidt, Hangzhou
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    China trägt seine Weltmachtambitionen offen zur Schau. Doch nun droht dem Riesenreich ausgerechnet die Basis dafür wegzubrechen: die eigene Bevölkerung.

    Mutter und ihre rennenden Kinder mit Mundschutz auf einer Straße in Peking
    Obwohl die Ein-Kind-Politik seit einigen Jahren aufgehoben wurde, wollen viele Chinesen nicht mehr als ein Kind bekommen. Ein großes Problem für die Wirtschaft Chinas.20.09.2023 | 6:19 min
    Die kleine Tuantuan bekommt von ihren Eltern alles, was ihr Herz begehrt: Bücher, Spielzeug, zwei Haustiere. Im Kindergarten lernt die Zweijährige bereits Englisch. Die Weichen für eine Karriere sollen möglichst früh gestellt werden. So wurde auch Mama Wang Shaolu erzogen. Ihre Eltern steckten ihr ganzes Vermögen in ihre Erziehung, ermöglichten ihr sogar ein Studium im Ausland.
    Und doch ist heute einiges anders, erzählt die 35-Jährige. Sie und ihre Freundinnen wollen selbst etwas von ihrem Geld, vom Leben haben und nicht wegen ihrem Kind zurückstecken. "Ich habe sogar Freunde, die gar nicht heiraten wollen. Sie sagen, sie haben endlich einen hohen Lebensstandard erreicht. Die Idee, Kinder als Altersversorgung zu haben, die gibt es nur bei älteren Generationen", erzählt Wang.

    Viele können sich Kinder nicht leisten

    Sie leitet eine Bäckerei in Hangzhou, ihr Mann ist Beamter und verdient gut. Trotzdem wollen die beiden auf keinen Fall ein zweites Kind. "Mein Lebensstandard würde drastisch sinken", sagt Wang. Ihre Wohnung ist 80 Quadratmeter groß. Das reiche gerade so für eine dreiköpfige Familie.

    Wenn wir ein weiteres Kind bekommen, bräuchten wir eine größere Wohnung. Das ist ein großer finanzieller Druck.

    Wang Shaolu

    In großen Städten wie Hangzhou haben sich die Immobilien-Preise in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Viele Eltern geben fast ein komplettes Jahresgehalt für Nachhilfeunterricht für ihre Kinder, für Musik- oder Tanzunterricht aus. Kindergeld vom Staat gibt es nicht.
    China: Ein Mann zieht ein Mädchen in einem Bollerwagen.
    Viele junge Chinesinnen und Chinesen wollen keine Kinder mehr - ein Horrorszenario für die Staatsführung.
    Quelle: AP

    Chinas Bevölkerung schrumpft

    So wie Wang Shaolu denken heute viele junge Menschen in China. Für die Staatsführung ein Horrorszenario. Die Bevölkerung schrumpft zum ersten Mal in ihrer Geschichte und viel schneller als prognostiziert. Nach offiziellen Zahlen liegt die Geburtenrate derzeit bei 1,0 Kindern pro Frau. Nach Korea die zweitniedrigste Fruchtbarkeitszahl der Welt. Einige Wissenschaftler schätzen sie sogar noch niedriger.
    In den Sozialen Medien werden immer wieder Videos von Kindergärten gepostet, die schließen müssen. "In diesen Kindergarten gingen sonst immer 100 Kinder, jetzt nur noch zehn", erzählt etwa ein Weibo-User.
    China droht Überalterung. Die UN gehen davon aus, dass 2050 jeder dritte Mensch in China über 60 Jahre sein wird. Mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft: Fachkräftemangel in allen Bereichen und Problemen bei der Altersversorgung.
    Eine Grafik zeigt das Bevölkerungswachstum von China im Verhältnis zu Indien.
    Lange Zeit war China das einwohnerstärkste Land der Welt. Doch das hat sich das geändert. Indien wird laut Prognose im Jahr 2100 sogar doppelt so viele Einwohner*innen haben wie China. 14.04.2023 | 0:33 min

    Kritik an chinesischer Familienpolitik

    "Wenn ein Land eine junge Bevölkerung hat, hat es auch viele kreative, innovative Köpfe", erläutert James Liang.

    Bei einer alternden Bevölkerung hat es allerdings ein Problem: Das beeinträchtigt seine Innovationskraft.

    James Liang, Ökonom

    Der Ökonom und Mitgründer eines Reiseportals hat an der US-Elite-Uni Stanford zu den wirtschaftlichen Folgen von Bevölkerungsschwund promoviert.
    Als einer der ganz wenigen traut er sich, Chinas Familienpolitik zu kritisieren. Es genüge einfach nicht, die Ein-Kind-Politik abzuschaffen. "Die chinesische Regierung muss Familien wirklich auch finanziell unterstützen, so wie das Europa und einige andere asiatische Länder tun - ein großzügiges Förderprogramm auflegen, mit Steuerentlastungen, einer Finanz-Spritze und Entlastungen bei Wohnungskäufen", so Liang.

    China führte die Ein-Kind-Politik 1979 ein, um das starke Bevölkerungswachstum zu bremsen. Zunächst auf Provinzebene, ein Jahr später landesweit. Zur Macht der Behörden zählte damals, hohe Geldstrafen zu verhängen, wenn Eltern mehr als ein Kind bekamen. Auch Zwangssterilisationen und -abtreibungen wurden durchgeführt. Erst 2016 waren wieder zwei Kinder erlaubt, seit 2021 drei. Doch der Babyboom blieb bislang aus.

    Förder-Projekt für weitere Kinder in Hangzhou

    Doch davon ist Chinas Staatsführung weit entfernt. Eines der ersten zögerlichen Förder-Projekte gibt es jetzt in Hangzhou: Beim zweiten Kind bekommen Eltern umgerechnet nun knapp 900 Euro einmalig ausgezahlt, beim dritten Kind gut 3.000 Euro.
    Doch für viele Eltern ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Kind groß zu ziehen, kostet ein Vielfaches. Die Ein-Kind-Politik habe die Geburt von 400 Millionen Kindern verhindert, schrieb die chinesische Regierung später. Heute fehlen sie. Die Bevölkerung des Riesenreichs schwindet. Dass China seine strenge Ein-Kind-Politik so spät aufhob, rächt sich jetzt.
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