Neue EU-Kommission:Brüsseler Puzzle-Spiele dauern an
von Julia Rech und Ulf Röller
Die EU sucht nach ihrer neuen Regierung. 26 Kommissare, die Europa fünf Jahre lang führen. Ursula von der Leyen stellt das neue Team zusammen - eine komplizierte Aufgabe.
Europa sucht eine neue Führung. Ursula von der Leyen steht vor der Aufgabe, 26 Kommissare für die EU-Kommission zu benennen, die in den nächsten Jahren regieren werden.
Quelle: AP
Die Präsidentin der
EU-Kommission hat ein kompliziertes Puzzle vor sich. Mit vielen Teilen aus nationalen Interessen, Streit um Kompetenzen und Ressorts - und der Sorge, nicht zu viele männliche Kommissare zu bekommen. Eine Mammut-Aufgabe für
Ursula von der Leyen, mit vielen Hindernissen und einigen Pannen.
Regierungsbildung mit Zeit und Geduld
Schaut man im Lexikon nach dem Begriff Puzzle, bekommt man eine interessante Definition. Ein Puzzle ist ein mechanisches Geduldspiel, genauer gesagt, ein Legespiel, bei dem versucht wird, einzelne Puzzleteile wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Ja, Geduld braucht Kommissionspräsidentin von der Leyen, mehr als sie vielleicht gedacht hat.
Eigentlich wollte sie mit ihrer Suche schon weiter sein, wollte schon diese Woche dem
Parlament ihr Team, die 26 Auserwählten, vorstellen. Offiziell heißt es, Slowenien brauche noch Zeit, um ihren Wunschkandidaten zu benennen, aber inoffiziell ist es von der Leyen wohl ganz recht, mehr Zeit zu bekommen, um Strippen zu ziehen. Denn: Brüsseler Puzzle funktionieren ein wenig anders. Oft passen die Teilen nicht zusammen oder müssen passend zurecht geschnitten werden. Es gibt drei große Fragen.
Das EU-Parlament hat Kommissionspräsidentin von der Leyen mit überraschend deutlicher Mehrheit für fünf weitere Jahre im Amt bestätigt. Sie erhielt 401 der möglichen 719 Stimmen. 18.07.2024 | 1:45 min
Die Geschlechterfrage: männlich oder weiblich?
Die Geschlechter-Frage. Von der Leyen wird ihr erklärtes Ziel verfehlen, die neue Kommission paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen. Die Regierungen verweigerten sich, schickten zu viele männliche Kandidaten-Vorschläge. Nach jetzigem Stand werden der Kommission zehn oder elf Frauen angehören.
Es sah schon mal schlechter aus. Aber von der Leyen kann nicht zufrieden sein. Ihre Strategie, jedes Land aufzufordern, zwei Kandidaten zu benennen und davon mindestens eine Frau, ging nicht auf. Die Mitgliedsländer wollen entscheiden, wer sie repräsentiert und nicht von der Leyen wählen lassen. Die Kommissionspräsidentin wird sich das merken. Vor allem bei der Verteilung der Ressorts.
Die Ressort- Frage: zählt Kompetenz oder politischer Druck?
Die Ressort-Fragen: Offiziell heißt es: Bei der Verteilung spielt weder das Geschlecht, noch das Land, noch die Vorlieben der Präsidentin eine Rolle. Sondern nur Kompetenz. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber von der Leyens Leute wiederholen sie so gebetsmühlenartig, dass man Zweifel bekommen könnte.
Von der Leyen telefoniert viel mit den EU-Hauptstädten. Jeder will die wichtigen Ressorts mit den großen Budgets, will die Kommissare stellen, die sich um
Wirtschafts- und Finanzthemen kümmern. Mächtige Länder wie
Frankreich und
Italien melden Anspruch an. Gerade Länder, die gerne mehr Schulden machen. Andere EU-Länder müssten zahlen. Das sorgt für Unmut.
Das Ziel von Ursula von der Leyen - Geschlechterparität - scheint zu scheitern. Denn für die Spitzenposten der EU-Kommission wurden von den EU-Ländern deutlich weniger Frauen nominiert, als erhofft.04.09.2024 | 2:10 min
Wird ein Rechtspopulist aus Italien mächtiger Kommissar?
Und dann versetzt noch eine Name viele in Brüssel in Aufruhr: Raffaele Fitto aus
Italien von der postfaschistischen Fratelli d’Italia, und bisheriger Europaminister unter Regierungschefin
Giorgia Meloni. Von der Leyen soll ihn als einen von vier exekutiven Vizepräsidenten ihrer neuen Kommission einplanen. Er soll für Wirtschaft und den Corona-Wiederaufbaufonds zuständig sein, der mit 724 Milliarden Euro ausgestatteten ist.
Von der Leyen würde für viele im Parlament damit eine Brandmauer gegen
Rechtspopulisten einreißen. Ein gefährliches Spiel, denn die Mehrheit der Abgeordneten muss die Kommission bestätigen.
Am Ende müssen alle Sieger sein
Die Gewinner-Frage: Die wohl Wichtigste. Am Ende müssen alle Sieger sein. Die Kommission, die einzelnen Länder, das Europaparlament und vor allem die Kommissionspräsidentin. Von der Leyen sieht sich als Kraftfeld. Gerade auch, weil die beiden wichtigsten Mitglieder,
Deutschland und
Frankreich, tief in der Krise stecken und ausfallen.
Die Präsidentin will die Lücke füllen. Zu viele Männer, abgelehnte Kommissare, lang andauernde Kandidatensuche, lauten Streit - muss sie vermeiden. Dafür muss sie die einzelne Teile geräuschlos zusammenfügen. Wie gesagt: Puzzle ist ein Geduldsspiel. Vor allem in Brüssel.
Die politische Sommerpause ist auch in Brüssel vorbei, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen startet mit einem Problem in ihre zweite Amtszeit: zu viele Männer.
Lara Wiedeking, Brüssel