Asylpolitik: Warum Berlin Richtung Skandinavien blickt
Vorbild für Deutschland?:Asylpolitik: Hart, härter, skandinavisch
von Winnie Heescher
|
Dänemark und Schweden haben niedrige Asylzahlen. Das beeindruckt deutsche Politiker. Welche Gesetze haben Kopenhagen und Stockholm erlassen? Und könnte Berlin das kopieren?
Dänischer Polizeibeamter kontrolliert an der deutsch-dänischen Grenze.
Quelle: dapd
Es gibt in diesen Tagen kaum ein Interview von Friedrich Merz, Markus Söder oder Sahra Wagenknecht, in dem sie nicht von Dänemark oder Schweden schwärmen. Da funktioniere es mit der Asylpolitik. Sind die skandinavischen Länder ein Vorbild für die deutsche Migrationspolitik?
Dänemarks Ziel: "Null Asylbewerber"
2019 kaperten die Sozialdemokraten in Dänemark bei den Parlamentswahlen mit Erfolg das zentrale Thema der Rechtspopulisten: die Migration. Regierungschefin wurde Mette Frederiksen. Ihr erklärtes Ziel: "Null Asylbewerber". Das bedeutet, Geflüchteten nur noch vorübergehend Schutz zu gewähren und sie statt zur Integration zur Rückkehr zu bewegen.
Die Kommunen in Deutschland fordern eine grundsätzlich andere Migrationspolitik. 03.09.2024 | 1:42 min
Heute steht Dänemark in der Liste der Asylbewerberzahlen auf Rang 24 bei den EU-Ländern: 2.355 Menschen stellten in Dänemark im vergangenen Jahr einen Asylantrag. In Deutschland waren es 329.035 Menschen. Rang eins im EU-Vergleich.
Niedrige Sachleistungen
Das kleine Land zeigt geflüchteten Menschen ganz bewusst ein abweisendes Gesicht. Es gibt Sammellager, in denen abgelehnte Asylbewerber bleiben müssen, von denen der Europarat sagt, selbst russische Gefängnisse seien besser.
Auch sollen niedrige Sachleistungen das Land unattraktiv machen: Asylbewerber bekommen einen Tagessatz von umgerechnet 7,50 Euro, und wenn ein Antrag abgelehnt wird, gibt es kein Geld, sondern nur noch Essen.
Rechtlich gesehen lässt sich eine Änderung des Asylrechts auf nationaler Ebene, wie von Markus Söder gefordert, umsetzen. Doch die Auswirkung dieser Änderung wäre gering.05.09.2024 | 4:51 min
Schon 2016 wurde das sogenannte "Schmuckgesetz" beschlossen: Asylsuchenden dürfen Wertgegenstände abgenommen werden, die den Wert von 1.350 Euro überschreiten, um damit ihren Aufenthalt zu finanzieren.
Dänemark: Harte Gesetze und Abschreckungsrhetorik
Mit Zwangsumsiedlungen will die dänische Regierung bis 2030 soziale Brennpunkte auflösen, möglich macht es das "Ghetto-Gesetz": In keinem Stadtbezirk sollen mehr als 30 Prozent "nicht-westliche Ausländer" leben.
In Dänemark herrscht ein verschärftes Migrationsrecht, trotz einer sozialdemokratischen Regierung. Auch der Familiennachzug ist erschwert. Die Kommune Gentofte bietet dennoch Hausaufgabenhilfe und Sprachunterricht an.19.10.2023 | 2:15 min
All diese Gesetze sorgten für große Empörung und doch trägt die dänische Bevölkerung diesen Kurs mittlerweile in ihrer Breite mit. Nicht alle Gesetze werden angewendet, sie dienen mehr der symbolischen Abschreckung, die auch rhetorisch unterstützt wird. Der sozialdemokratische Migrationsminister lobt:
Schweden: Mehr Auswanderung als Einwanderung
Im Jahr 2015 war Schweden wie Deutschland eines der Hauptziele für flüchtende Menschen; 2016 vollzog das Land die Kehrtwende. Im vergangenen Jahr gab es noch 12.644 Asylanträge.
Vor zwei Wochen vermeldete die Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard, Schweden sei kein Land mehr, in das Asylbewerber einwandern. Im ersten Halbjahr des Jahres hätten mehr Migranten das Land verlassen, als eingewandert seien.
Das Thema Migration gehört laut ZDF-Politbarometer für viele Menschen in Deutschland zu den dringendsten Problemen. 04.06.2024 | 44:49 min
Die konservative Minderheitsregierung, die von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten toleriert wird, hat ihren Kurs nach dänischem Vorbild verschärft: Höhere Anforderungen für den Familiennachzug, reduzierte Sozialleistungen, intensivere Grenzkontrollen.
Skandinavische Migrationspolitik: Vorlage für Deutschland?
Deutsche Politiker loben, dass Schweden nach Syrien und Afghanistan abschiebe. Fakt ist: Fünf straffällige Afghanen hat Stockholm 2023 abgeschoben, in diesem Jahr keinen einzigen. Abschiebungen aus Skandinavien sind nicht leichter als aus Deutschland, man kämpft dort mit denselben Problemen.
Ende August hat Deutschland erstmals seit der Machtübernahme der Taliban Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Eine Kehrtwende in der bisherigen Außenpolitik der Ampel.30.08.2024 | 2:53 min
Bei der Frage, welche Maßnahmen auf Deutschland übertragbar seien, gibt es zwei Antworten: Dänemark hat in der EU einen Sonderstatus, es ist nicht an die Asyl- und Migrationspolitik der EU gebunden. Deutschland schon - Gesetzesänderungen bräuchte es in Berlin und Brüssel. Das ist kompliziert und langwierig.
Was es aber zuerst bräuchte: einen eindeutigen politischen Willen, welches Gesicht Deutschland geflüchteten Menschen zeigen will.
Winnie Heescher ist Korrespondentin im ZDF-Studio Schleswig-Holstein und Skandinavien.