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FAQ
Migrationsforscherin:Warum Asylrecht eine "Signalwirkung" hat
von Katharina Schuster
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"Das Asylrecht ist dazu da, schutzbedürftigen Menschen Schutz zu bieten", so die Migrationsforscherin Kohlenberger im ZDF. Das dürfe man in der Asyl-Debatte nicht vergessen.
Sehen Sie hier das Interview mit Dr. Judith Kohlenberger in voller Länge.04.09.2024 | 4:31 min
Konkrete Beschlüsse hat es beim Migrationsgipfel am Dienstag nicht gegeben. Trotzdem ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser "dankbar für das ernsthafte und konstruktive Gespräch". Die Bundesregierung hatte mit der Union über ein gemeinsames Vorgehen in der Asylpolitik beraten.
Bei den Bemühungen gehe es "um einen harten Kurs gegen die irreguläre Migration", betonte Faeser.
Wie eine verantwortungsvolle Asyl-Politik aussehen könnte, die irreguläre Migration eindämmt und ob man Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen darf, darauf hat die Migrationsforscherin Dr. Judith Kohlenberger im ZDF heute journal update Antworten.
Die Bundesregierung hat vergangene Woche ein "Sicherheitspaket" verabschiedet - als Reaktion auf die Messerattacke in Solingen mit drei Toten. Es soll Grundlage für die Beratungen beim Migrationsgipfel sein. Das Paket sieht folgende Maßnahmen vor:
Vorgesehen ist außerdem:
- eine härtere Gangart bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsländer,
- Schritte zur entschiedeneren Bekämpfung des islamistischen Terrors,
- Verschärfungen beim Waffenrecht
Vorgesehen ist außerdem:
- dass Schutzsuchende, für die ein anderes europäisches Land zuständig ist, in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten (wenn dieses Land zur Rücknahme bereit ist, also sogenannte Dublin-Fälle).
- ein Verbot von Springmessern und
- ein leichterer Ausschluss vom Schutz in Deutschland für Migranten, die eine Straftat begangen haben.
- eine Verbesserung des Dublin-Verfahrens (also die Regelungen zur Abschiebung von Asylsuchenden in andere europäische Staaten, die für sie zuständig sind). Dies war beim mutmaßlichen Attentäter von Solingen der Fall gewesen, der eigentlich nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen.
Wie kann eine verantwortungsvolle Asyl-Politik aussehen?
Grundlegend sei, dass unionsrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden müssen, macht Kohlenberger klar. Das gelte auch bei nationalstaatlichen Bestrebungen, die irreguläre Migration einzudämmen oder zu beschränken. Es sei bezeichnend, "dass das an dieser Stelle extra betont werden muss".
In der aufgeladenen Debatten über hartes Durchgreifen, dürfe man nicht vergessen wozu das Asylrecht eigentlich da ist - nämlich schutzbedürftigen Menschen Schutz zu bieten. Das sei "eine Maxime, die aus den Irrungen und Wirrungen der beiden Weltkriege hervorgegangen ist".
Ampel und Union verlassen die Verhandlungen um ihr Sicherheitspaket mit vorsichtigem Optimismus. Geflüchteten bereitet die Asyldebatte Sorge um ihren Verbleib in Deutschland.04.09.2024 | 2:31 min
Ist der Zusammenhalt in Europa in Gefahr?
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hatte sich vor dem Treffen besorgt gezeigt und an die Bundesregierung appelliert, keine rechtswidrigen Maßnahmen zu beschließen. Die Methoden müssten Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und Radikalisierung hin zum Islamismus oder Rechtsextremismus vorbeugen.
Pro Asyl warnte vor einer Gefährdung des Zusammenhalts in Europa. Diese Sorge sei berechtigt, sagt Kohlenberger im ZDF. "Wir müssen nicht weit in der Geschichte zurückgehen, oder geografisch weite Distanzen überbrücken, um zu erkennen, dass die Beschneidung der Rechte schutzsuchender Menschen, besonders marginalisierter Gruppen in der Gesellschaft, von jeher ein Einfallstor gebildet haben, für die schleichende Erosion der Rechte auch etablierter Gruppen in der Gesellschaft."
Dürfen Migranten an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden?
CDU-Chef Friedrich Merz legte der Bundesregierung das Ausrufen einer "nationalen Notlage" nahe, die es erlauben würde, Geflüchtete an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Laut Kohlenberger sei das weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich konform.
"Das lässt sich nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren", so die Migrationsforscherin.
Im Gegenteil: Es müsse ein "rechtsstaatliches Verfahren gestartet" werden. Im Zuge dessen müsse erst geprüft werden, ob denn tatsächlich Schutzgründe vorliegen und die Person in Deutschland bleiben darf.
In der Debatte um eine härtere Asylpolitik kritisiert Grünen-Politiker Konstantin von Notz CDU-Chef Merz. Dieser sorge mit seiner Äußerung zu einer Notlage für Verunsicherung.28.08.2024 | 0:47 min
Schrecken Leistungskürzungen Schutzsuchende ab?
Sogenannte "Dublin-Flüchtlinge" - also solche, die über einen anderen EU-Staat einreisten und dort registriert wurden - sollen künftig weder Geldleistungen noch eine Bezahlkarte erhalten. "Dieses Ideal der Abschreckung begegnet uns leider sehr oft in der aktuellen Debatte um Asylrechtsverschärfungen", so Kohlenberger.
Das Dublin-Verfahren regelt, dass jeder Asylbewerber nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen darf, den er als erstes betreten hat. So soll sichergestellt werden, dass jeder Asylantrag nur von einem EU-Mitgliedstaat geprüft wird. Die Dublin-III-Verordnung gilt seit 2014 in den EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein.
Hält ein Mitgliedstaat einen anderen für zuständig, kann er ein Übernahme- beziehungsweise Wiederaufnahmeersuchen stellen. Stimmt dieser Staat zu, erhält der Antragsteller einen entsprechenden Bescheid. Er kann einen Eilantrag dagegen stellen; andernfalls vereinbaren die Mitgliedstaaten die Überstellung.
Wird sie nicht binnen sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit an jenen Mitgliedstaat über, der um Übernahme ersucht hat. Taucht der Antragsteller unter oder befindet er sich in Strafhaft, kann sich diese Frist verlängern. In bestimmten Fällen sieht Dublin III eine Abschiebehaft vor, etwa bei ungeklärter Identität, verspäteter Antragstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.
Die Verordnung der EU in voller Länge finden Sie hier.
Quelle: KNA
Hält ein Mitgliedstaat einen anderen für zuständig, kann er ein Übernahme- beziehungsweise Wiederaufnahmeersuchen stellen. Stimmt dieser Staat zu, erhält der Antragsteller einen entsprechenden Bescheid. Er kann einen Eilantrag dagegen stellen; andernfalls vereinbaren die Mitgliedstaaten die Überstellung.
Wird sie nicht binnen sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit an jenen Mitgliedstaat über, der um Übernahme ersucht hat. Taucht der Antragsteller unter oder befindet er sich in Strafhaft, kann sich diese Frist verlängern. In bestimmten Fällen sieht Dublin III eine Abschiebehaft vor, etwa bei ungeklärter Identität, verspäteter Antragstellung oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.
Die Verordnung der EU in voller Länge finden Sie hier.
Quelle: KNA
Europäische Länder wie Ungarn oder Griechenland seien "in diesen Unterbietungswettbewerb schon seit langem eingestiegen". Ihre Aufnahmebedingungen für Geflüchtete seien so abschreckend gestaltet, "dass sie gerichtlich festgestellt sogar menschrechtswidrig sind".
Das führe dazu, dass auf europäischer Ebene immer weniger Länder bereit sind, Asylverantwortung wahrzunehmen. Deutschland und Österreich zählten weiterhin dazu. Diese Länder schulterten einen immer größeren Druck, der sich immer ungleicher auf wenige verteile.
Forschungen zeigten klar, dass Sozialleistungen nur ein Faktor unter vielen darstellten, warum sich Geflüchtete ein bestimmtes Zielland aussuchten.
"Die wirken wesentlich anziehender als Sozialleistungen es je tun werden", so Kohlenberger.
Das Interview führte ZDF-Moderatorin Nazan Gökdemir.
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