Irreguläre Migration: Was bringen mehr Grenzkontrollen?

    Irreguläre Migration:Was bringen mehr Grenzkontrollen?

    von Alice Pesavento
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    Politiker fordern, die verschärften Grenzkontrollen im Zuge der EM zu verlängern, um irreguläre Migration zu verringern. Ist das möglich? Und welche Auswirkungen hätte das?

    Grenzkontrolle
    Die Grenzkontrollen in Deutschland wurden zur EM hochgefahren.
    Quelle: dpa

    Um die Sicherheit in Deutschland während der Fußball-EM zu gewährleisten, kontrolliert die Bundespolizei momentan die Land-, Luft und Seegrenzen. Politiker von CDU, FDP und SPD fordern nun, diese Grenzkontrollen nach der EM beizubehalten - um irreguläre Migration zu verringern und Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Wie sieht das rechtlich aus? Und was würde es bringen? Fragen und Antworten.

    Was sagen die Befürworter?

    Stationäre Grenzkontrollen hätten sich bewährt, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der "Bild" und spricht von einer positiven Bilanz. Eine Verlängerung für ein Jahr nach der EM sei "notwendig". Zusätzliche Kontrollen gab es auch zuvor schon - die Unionsfraktion und die Regierungschefs der Länder hatten bereits gefordert, sie aufrechtzuerhalten, bis die EU-Außengrenzen nachhaltig gesichert seien.
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    Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach im Frühjahr von ersten Erfolgen einer konsequenteren Asylpolitik. So seien bei Grenzkontrollen - Stand April - seit Oktober rund 700 Schleuser festgenommen und 17.600 unerlaubte Einreisen verhindert worden. Wie viele davon Asyl beantragt haben - das ist unklar. Faeser hatte erklärt, die Zahl der Asylanträge sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum "um ein Fünftel geringer".

    Nach Angaben der Bundespolizei von Ende Juni wurden allein im Zuge der verschärften Kontrollen zur EM 150 Schleuser vorübergehend festgenommen. Rund 4.700 Personen versuchten demnach, unerlaubt nach Deutschland einzureisen, mehr als zwei Drittel davon seien zurückgewiesen worden. Insgesamt seien binnen drei Wochen 830.000 Personen kontrolliert worden.

    Wie ist die rechtliche Lage?

    Binnengrenzkontrollen innerhalb EU waren mit dem Schengener Grenzkodex abgeschafft worden. Sie dürfen nur in Ausnamefällen wieder eingeführt werden: Wenn die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ernsthaft bedroht ist oder in außergewöhnlichen Situationen, in denen die Grenzkontrollen an den Außengrenzen nicht ordnungsgemäß funktionieren.
    Trotzdem gibt es seit einigen Jahren innerhalb der EU und auch an deutschen Grenzen zunehmend mehr Grenzkontrollen. "Das ist eine politische Tendenz, die mit dem zunehmenden Nationalismus und der Ablehnung jedenfalls bestimmter Formen von Migration zu tun hat", sagt Thomas Groß, Professor für Migrations- und Europarecht an der Universität Osnabrück. Auch in Deutschland ist das zu beobachten. Hier gibt es bereits seit Oktober 2023 Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz, die immer wieder verlängert wurden - zuletzt bis Ende 2024.
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    Die Maximaldauer innereuropäischer Grenzkontrollen liegt je nach Anlass bei 30 Tagen bis sechs Monaten - mit der Möglichkeit, diese zu verlängern. Dazu muss begründet werden, dass die Gefahr, wegen der die Kontrollen eingeführt wurden, noch besteht. "Da kann man nicht einfach von der einen Gefahr auf die andere Gefahr wechseln", sagt Thomas Groß. Eine pauschale Verlängerung der aktuellen Grenzkontrollen wegen der EM um ein Jahr, wie von Djir-Sarai gefordert, sei rechtlich nicht möglich. so der Experte.

    Mehr Kontrollen, weniger irreguläre Migration?

    Die Auswirkungen seien nur schwer zu beurteilen, sagt Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (DeZIM) in Berlin. Denn die Bundespolizei könne nicht alle unerlaubten Einreisen erfassen. "Wenn wir mehr Kontrollen haben, werden natürlich potenziell mehr Menschen erfasst, weswegen wir aus den Aufgriffszahlen keine belastbaren Aussagen darüber ableiten können, wie sich Fluchtbewegungen dadurch verändern."
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    Stationäre Grenzkontrollen wie die, deren Verlängerung jetzt gefordert werden, seien laut Engler zudem sehr sichtbar. Das führe dazu, dass Personen, die nach Deutschland kommen oder durch Deutschland durchreisen wollen, schon nach kurzer Zeit alternative Routen nutzen. Unterm Strich hält der Migrationsforscher die Forderungen für "Symbolpolitik". Sie würden unrealistische Erwartungen an die Kontrollfähigkeiten von Staaten wecken. "Es ist nicht möglich, die EU oder Deutschland auch nur annähernd komplett abzuschotten."
    Für die Verringerung der Asylantragszahlen seien Grenzkontrollen zudem ungeeignet, so Groß, da sie nichts am Schutzbedarf von geflüchteten Menschen und ihrem Recht auf Asyl ändern. "Es wird jeder zunächst einmal illegale oder irreguläre Grenzübertritt im Nachhinein legal, wenn jemand Asyl beantragt", sagt Groß. Schutzsuchende dürfen also eigentlich nicht an den Grenzen zurückgewiesen werden, auch wenn es in der Vergangenheit mehrfach Berichte über Zurückweisungen dieser Art an deutschen Grenzen gab.
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    Welche Alternativen zu Grenzkontrollen gibt es?

    Einfache Antworten gibt es nicht, sagen Groß als auch Engler. Ein Ansatzpunkt wären Engler zufolge mehr legalen Fluchtwege für Schutzsuchende. Denn momentan können Menschen in der EU nur dann Asyl beantragen, wenn sie sich auf EU-Boden befinden, müssten in den meisten Fällen also zunächst unerlaubt einreisen. Legale Fluchtwege würden zudem dazu führen, Schleuseraktivitäten zu verringern.
    Groß schlägt vor, Schutzsuchende vermehrt über humanitäre Kontingente aufzunehmen, bei denen sie Asylanträge in ihren Herkunftsländern oder Nachbarländern stellen und dann sicher nach Deutschland oder ein anderes sicheres Land gebracht werden können. Schon jetzt stellt Deutschland pro Jahr rund 6.500 Plätze für Flüchtlinge aus diesen sogenannten Resettlement-Programmen zur Verfügung. "Die tatsächlich zur Verfügung gestellten Plätze sind aber so gering, dass die bestehenden Programme keine Chance haben, irgendwie Einfluss auf die Migrationsbewegung zu nehmen", sagt er.

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