Aserbaidschan: Diese Rolle spielt Russland in Bergkarabach

    Aserbaidschan greift Armenier an:Diese Rolle spielt Russland in Bergkarabach

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    Russland hält sich im Konflikt in Bergkarabach zurück - obwohl es eigentlich Armenien stützt. Warum Putin nicht eingreift und was der Ukraine-Krieg damit zu tun hat.

    Aserbaidschan greift die von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach an. Mehrere Tote werden gemeldet. Die Türkei steht in dem Konflikt hinter Aserbaidschan. Russland unterstützt eigentlich Armenien, greift aber im Moment nicht ein.

    Warum ist die Situation jetzt eskaliert?

    Beide Konfliktparteien werfen sich vor, den Waffenstillstand gebrochen zu haben, erklärt ZDF-Korrespondent Armin Coerper in Moskau. Die Eskalation käme nicht überraschend. Aserbaidschan hat Bergkarabach schon seit mehreren Monaten abgeriegelt. Und die russischen Truppen würden tatenlos dabei zuschauen, so Coerper.
    Russland wende sich von Armenien ab, weil es "in dem Ukraine-Konflikt mehr Interesse an Beziehungen zu Aserbaidschan und auch zur Türkei hat". Daraufhin habe Armenien der Ukraine geholfen.

    Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um Berg-Karabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Nach sechswöchigen Kämpfen im Jahr 2020 mit mehr als 6.500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. Quelle: AFP

    "Mit Russlands Schwächung sehen wir eben jetzt, dass Aserbaidschan deutlich selbstbewusster geworden ist", erklärt auch Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

    Wie ist das Verhältnis zwischen Russland und Armenien gerade?

    Russland und Armenien "fremdeln" gerade, analysiert Röthig bei ZDFheute live. In Armenien habe es eine demokratische Revolution gegeben, auch der Premierminister Nikol Paschinjan sei demokratisch gewählt worden. Dadurch habe Armenien sich von Russland entfernt, erklärt Röthig. "Russland ist seit 2020 durch Untätigkeit aufgefallen."
    Paschinjan versuche die internationalen Verbindungen zu diversifizieren und sich nicht mehr nur auf Russland zu verlassen, so der Experte. "Man sucht eben auch den Schulterschluss mit der EU, aber vor allem mit den Vereinigten Staaten." Armenien habe erkannt, "dass man nichts mehr zu verlieren hat".

    Welche Rolle spielt der Ukraine-Krieg in Bezug auf Bergkarabach?

    Der Rückzug Russlands in Bergkarabach sei ein Ausdruck "der Schwäche Russlands".

    Das ist eine direkte Folge von Russlands Einmarsch in die Ukraine, dass man anderswo eben nicht mehr in der Lage ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten und sich deswegen auch umorientieren muss.

    Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus von der Friedrich-Ebert-Stiftung

    Möglicherweise neige sich die "Zeit der russischen Ordnungsmacht" im Südkaukasus einem Ende zu.
    Karte: Armenien - Aserbaidschan - Bergkarabach
    Quelle: ZDF

    Wer könnte statt Russland die neue Ordnungsmacht im Kaukasus werden?

    "Es ist sicherlich die Türkei", so Röthig. Präsident Recep Tayyip Erdogan haben sich am Dienstag deutlich an die Seite Aserbaidschans gestellt. Röthig sieht Ambitionen der Türkei eine stärkere Rolle in der Region zu spielen. Auch der Iran, der im Süden an Aserbaidschan und an Armenien grenzt, könnte eine Rolle spielen.

    Könnte der Konflikt in Bergkarabach Putin auch nutzen?

    Der armenische Premier Paschinjan stehe mit dem Rücken zur Wand, so Politikexperte Röthig. Es gebe Protest gegen ihn, aber auch gegen Russland. "Die Frage ist, ob er das jetzt politisch überlebt, auch schon beim letzten Krieg 2020 sah es eng aus."
    Bei den Stadtratswahlen in der armenischen Hauptstadt Eriwan am Wochenende habe seine Partei die Mehrheit verloren. Wenn Paschinjan gestürzt würde, könnte die alte Elite zurück an die Macht kommen, und die würde sich militärisch wieder zurück an Moskau orientieren, erklärt Röthig.

    Wie könnte der Konflikt in Bergkarabach nun weiter gehen?

    Für Röthig sieht es derzeit nicht nach Entspannung aus.

    Die letzten Stunden weisen darauf hin, dass Aserbaidschan alles das einsetzt, was man im Arsenal hat, also einschließlich auch der Luftwaffe und Bodentruppen.

    Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus von der Friedrich-Ebert-Stiftung

    "Da sieht es zurzeit nicht nach einer Entspannung aus", so Röhrig. Die Führung in Bergkarabach habe angeboten zu verhandeln. Aber Aserbaidschan wolle nur verhandeln, wenn Bergkarabach kapituliere.
    Wenn die Hauptstadt Armeniens Bergkarabach zu Hilfe eilt, würde es im schlimmsten Fall einen Flächenbrand geben, prognostiziert Röthig. Allerdings sei das eher unwahrscheinlich, da das Gebiet dort für das Militär wegen der Berge schlecht zu erreichen sei.

    Röthig: Angst vor einer "ethnischen Säuberung"

    Es gebe die berechtigte Angst vor einer "ethnischen Säuberung" durch Aserbaidschan, berichtet Röthig. "Der Hass hat sich über Generationen angestaut". Falls Aserbaidschan einen humanitären Korridor anbietet, könnte das insbesondere für die Männer ein Risiko sein, so Röthig.
    Denn die meisten über 18 hätten Militärdienst geleistet und es gab viele Kriege in den vergangenen Jahren. Sie könnten bei der Ausreise festgenommen werden, weil ihnen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.
    Ein humanitärer Korridor würde für Röthig nur unter internationaler Aufsicht funktionieren. "Ansonsten fürchte ich das Schlimmste, nämlich die Vertreibung."
    Quelle: ZDF

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