Opposition in Ägypten: "Das sind keine Wahlen"

    Interview

    Oppositionspolitiker Al-Sadat :Ägypten: "Das sind keine Wahlen"

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    In Ägypten wird es keinen Machtwechsel geben. Ein Neffe des ägyptischen Alt-Präsidenten Sadat erklärt im Interview, woran das liegt - und warum er sich Sorgen macht.

    Ägyptische Wahlhelfer zählen die Stimmzettel am Ende des letzten Tages der ägyptischen Präsidentschaftswahlen in Kairo, Ägypten, 12.12.2023.
    Ägyptische Wahlhelfer zählen die Stimmzettel am Ende des letzten Tages der ägyptischen Präsidentschaftswahlen in Kairo.
    Quelle: epa

    Am 18. Dezember wird in Ägypten sehr wahrscheinlich Präsident Abdel Fattah Al-Sisis dritte Amtszeit verkündet. Der Oppositionelle Mohammad Anwar Al-Sadat, ein Neffe des Alt-Präsidenten Sadat, blickt mit Sorge auf sein Land. Aufgrund seiner Herkunft gilt er als Kenner des Militärregimes, war einst selbst Präsidentschaftskandidat und vermittelte, wenn es um die Freilassung politischer Gefangener ging.
    11.12.2023, Ägypten, Kairo: Eine Frau in Ägypten gibt am zweiten Tag der ägyptischen Präsidentschaftswahlen in einem Wahllokal ihre Stimme ab
    Die Wiederwahl von Amtsinhaber al-Sissi bei der Wahl in Ägypten gilt als so gut wie sicher. Seit seiner Machtübernahme hat es keine freien Wahlen mehr im Land gegeben.12.12.2023 | 2:35 min
    ZDFheute: Die Ägypter wählen einen neuen Präsidenten. Sehen wir wirklich Wahlen?
    Mohammad Anwar Al-Sadat: Nun, das sind keine Wahlen. Die Wahlen sind längst vorbei. Denn es wurden Kandidaten daran gehindert, sich als Kandidaten aufzustellen. Für das System ist jetzt das Wichtigste, eine angemessene Wahlbeteiligung zu präsentieren. Sie werden Zahlen um die vierzig Prozent vorlegen.

    Mohamed Anwar Al-Sadat
    Quelle: epa

    Mohammad Anwar Al-Sadat, 68, ist Neffe des Alt-Präsidenten Anwar Sadat, der als erster arabischer Staatschef mit Israel Frieden schloss und 1981 von Islamisten ermordet wurde.

    Er ist ehemaliger Parlamentsabgeordneter und ehemaliger Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des ägyptischen Parlaments, verhandelte als Vermittler in Sachen Freilassung von politischen Gefangenen mit dem Sisi-Regime, und trat 2018 als Oppositioneller (als Vorsitzender der "Reform- und Entwicklungspartei") kurz als Präsidentschaftskandidat an, bevor er seine Kandidatur aufgrund der Sicherheitsrisiken für ihn und sein Wahlkampfteam zurückzog.

    Er gilt als "Sisi-Kritiker" und ist Mitglied der Oppositionsallianz "Zivil-demokratischer Aufbruch".

    Für Präsident Al-Sisi gibt es dann dieses Mal wohl nicht 97 Prozent wie beim letzten Mal, sondern vielleicht um die 80 Prozent. So wird das gemacht. Ich wünschte, wir würden nun Al-Sisis letzte Amtszeit erleben - und nicht, dass wir wieder Aufrufe sehen, dass er nach 2030 doch weitermachen solle. Das muss aufhören. Der Präsident muss sich davon überzeugen lassen, dass es an der Zeit ist, mit freien Wahlen und echtem politischen Wettbewerb einer neuen Generation und neuen Ideen eine Chance zu geben.
    ZDFheute: Viele auf der Straße vermeiden das Thema. Was bewegt die Menschen im Land gerade?
    Al-Sadat: Nun, der Durchschnitts-Ägypter ist voller Wut und Groll. Er leidet unter der Wirtschaftskrise. Doch der Gaza-Krieg, die humanitäre Katastrophe dort, hat viele abgelenkt von den Wahlen. Jeder hier verfolgt Gaza und fühlt sich belastet von den Konsequenzen, die der Krieg für Ägypten haben könnte.
    ZDFheute: Wie tief ist die Krise im Land?
    Al-Sadat: Wir sind in einer äußerst schwierigen Phase. Nicht nur die Wirtschaft - es ist auch eine politische Krise, eine Menschenrechtskrise. Ich denke, dass das sehr gefährlich ist. Den Druck, unter dem die Menschen stehen, sieht man auch in den - für Ägypten beispiellos hohen - Kriminalitätsraten, oder im Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen.
    ZDFheute: Was müsste getan werden?
    Al-Sadat: Wir haben eine Regierung und einen Präsidenten, die im Alleingang Entscheidungen treffen. Im Alleingang große Bauprojekte durchsetzen, die im Moment keine Priorität für die Bevölkerung haben. So entstand die Schuldenkrise. Die Firmen des Militärs haben ein Monopol. Der private Sektor hat keinen Platz und der ausländische Investor fühlt, dass es hier keine Sicherheit, keinen fairen Wettbewerb für ihn gibt.
    • Wirtschaftskrise in Ägypten: Hühnerfüße statt Hühnchen
    Als erstes müsste Präsident Al-Sisi sich also voll und ganz aus der Wirtschaft heraushalten. Nur Experten, nur Profis dürften da ran. Und dann brauchen wir echte Institutionen. Ein echtes Parlament, wirklich gewählt vom Volk, das Minister befragen und ihnen sein Vertrauen entziehen kann. Unabhängige Gerichte, zu denen alle fair Zugang haben. Echte Medien mit Meinungsfreiheit. Wir brauchen eine Gewaltenteilung und eine Rechenschaftspflicht. Und Institutionen, die Machtmissbrauch und Korruption ahnden. Einen Rechtsstaat, auch damit Unternehmer sich hier sicher fühlen.
    All das ist genau das, was unsere westlichen Partner von uns fordern. Diese sind wirklich interessiert an unserer Entwicklung und Stabilität - anders als viele hier glauben.
    Gerade auf Deutschland sollten wir hören. Deutschland betreibt mit seinen Ratschlägen an uns keine Einmischung, wie es manchmal vorgeworfen wird. Deutschland hat so viele Erfahrungen, von denen wir lernen könnten. Außerdem ist für viele im Westen Ägypten zu groß und zu wichtig in der Region, um das Land scheitern zu lassen.
    Das Interview führte ZDF-Korrespondentin Golineh Atai.

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