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Gefängnisse in Aserbaidschan:EU-Geld für die Folter-Kerker von Baku
von Hannes Munzinger, Maria Retter, Sophia Stahl
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Eine ZDF-Recherche mit internationalen Partnern enthüllt: Millionen Euro sind in aserbaidschanische Gefängnisse geflossen, in denen Oppositionelle eingesperrt und gefoltert werden.
Ilham Alijew, Präsident von Aserbaidschan, geht hart gegen die Opposition in seinem Land vor. (Archivbild)
Quelle: AFP
Die Journalistin Sevinc Vaqifqizi weiß, dass dies ihr wahrscheinlich letzter Moment in Freiheit sein wird. Ihr ehemaliger Chef Ulvi Hasanli ist vor wenigen Stunden in Aserbaidschan verhaftet worden. "Der Befehl, ihn festzunehmen, kam direkt von Präsident Ilham Alijew", spricht sie am Flughafen Istanbul in ihre Handykamera.
Wenig später steigt sie in den Flieger. Ihr Ziel: Aserbaidschan.
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Aserbaidschan und Bestechungsvorwürfe
Erst Anfang der Woche sorgte das Land für Schlagzeilen: Aserbaidschan soll Politikern Millionen überwiesen haben. Wegen Bestechungsvorwürfen wurde Anklage gegen zwei deutsche Ex-Unionsabgeordnete erhoben.
Am 21. November 2023, noch auf dem Rollfeld des Flughafens der Hauptstadt Baku, wird die 34-jährige Reporterin Vaqifqizi festgenommen.
Polizei, Abzas Media
Quelle: Meydan TV
Sie und die Redaktion "Abzas Media" hatten über lukrative Geschäfte und versteckte Vermögenswerte der aserbaidschanischen Präsidentenfamilie berichtet und darüber, wie die Herrscherfamilie Oppositionelle unterdrückt. Jüngst untersuchten sie auch Foltervorwürfe in Gefängnissen des Regimes und beim Militär. Mehrere Insassen sollen zu Tode gekommen sein.
EU-Geld an aserbaidschanische Gefängnisse
Diese Recherche wurde nach den Verhaftungen von einem internationalen Konsortium unter Leitung der Non-Profit-Redaktion "Forbidden Stories" fortgeführt, dazu gehört auch ZDF frontal. Die Ergebnisse, die unter dem Titel "The Baku-Connection" veröffentlicht werden, zeigen: In aserbaidschanische Gefängnisse floss auch EU-Geld. Dorthin, wo kritische Journalistinnen und heute noch rund 200 Oppositionelle eingesperrt werden. Dorthin, wo gefoltert wird.
Nach den Recherchen hat allein der Europarat seit 2014 wohl mehr als 23 Millionen Euro an Baku überwiesen. Dieses Geld sollte laut Verträgen unter anderem die Wiedereingliederung von Häftlingen verbessern sowie Folter und Misshandlungen durch Polizei und Gefängnispersonal vorbeugen.
Tatsächlich herrscht in den Gefängnissen Willkür. Das zeigt ein Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Das Papier von 2018 zeichnet ein verheerendes Bild: Zeugen berichteten von Schlägen mit Stöcken oder einem Baseballschläger, Tritten und schwereren Formen der Misshandlung.
Wie die EU-Kommission reagiert
Gleichzeitig flossen seit 2016 wohl 1,3 Millionen Euro über ein von der EU und dem Europarat kofinanziertes Projekt in die Gefängnisinfrastruktur. Verwendet wurde dieses Geld unter anderem für Online-Workshops zum Coaching von Gefängnismanagern, Zuschüsse für fragwürdige Nichtregierungsorganisationen, die dem Alijew-Clan nahe stehen und die Besichtigung eines Gefängnisses in Spanien.
Ein Sprecher der EU-Kommission gibt auf Anfrage bekannt, dass die EU Programme "finanziert und unterstützt" habe, die "auf die Reform des Strafrechtssystems und des Strafvollzugs in Aserbaidschan abzielen, einschließlich der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes für verurteilte Personen in Haftanstalten". Man sei "entschlossen, unsere Zusammenarbeit mit Aserbaidschan in diesen Fragen fortzusetzen", fordere das Land aber auf, "diejenigen freizulassen, die wegen der Ausübung ihrer Grundrechte inhaftiert sind."
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Unterstützung "nicht an aserbaidschanischen Staatsapparat"
Ein Sprecher des Europarats betont auf Anfrage, dass finanzielle Unterstützung nicht an den aserbaidschanischen Staatsapparat floss. NGOs, die der Europarat fördere, würden "auf der Grundlage eines transparenten, öffentlichen Ausschreibungsverfahrens" ausgewählt. Kritiker halten dieses Argument für eine Farce. "So etwas wie eine unabhängige NGO gibt es in Aserbaidschan nicht", sagt etwa der aserbaidschanische Autor und Menschenrechtler Arif Yunus.
Vor allem aber dürften die finanziellen Maßnahmen wenig gebracht haben. Das US-Außenministerium kritisierte bereits 2022, dass die Kritik des CPT in Aserbaidschan nichts bewirkt habe.
Alijew: "Verlässlicher" Autokrat als Gaslieferant
Trotzdem wird Aserbaidschan seit Russlands Einmarsch in die Ukraine nicht nur von der Bundesregierung regelrecht hofiert. Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor knapp einem Jahr auf den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew traf, nannte er ihn einen "Partner von wachsender Bedeutung". Zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Gas-Deal mit dem autokratischen Herrscher besiegelt. Bis 2027 soll die Gasmenge, die Baku nach Europa liefert, auf 20 Milliarden Kubikmeter steigen.
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Im Europarat scheint sich die Stimmung nun aber zu drehen. Am vergangenen Donnerstag hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats die aserbaidschanische Delegation aus dem Plenum ausgeschlossen. In einer Diskussion wiesen die Abgeordneten auf politisch motivierte Verhaftungen hin - auch auf die der "Abzas"-Journalistinnen und Journalisten. Sevinc Vaqifqizi und ihren Kollegen drohen bis zu acht Jahre Haft - möglicherweise in Gefängnissen, die von der EU gefordert wurden.
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