Biodiversität: WWF sieht "katastrophalen" Artenschwund

    Bericht zu Biodiversität:WWF sieht "katastrophalen" Artenschwund

    Mark Hugo
    von Mark Hugo
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    Entwarnung klingt anders. Der weltweite Artenschwund hat "katastrophale" Ausmaße angenommen. Das stellt ein WWF-Bericht rund eineinhalb Wochen vor der Biodiversitätskonferenz fest.

    Alternativer Bärenpark Worbis
    Die Bestände von Wildtieren nehmen drastisch ab. Einem Bericht des WWF zufolge sind die untersuchten Populationen in den letzten 50 Jahren im Schnitt um 73 Prozent geschrumpft.10.10.2024 | 0:24 min
    Die Bestände von Säugetieren, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Fischen nehmen dramatisch ab - in den letzten 50 Jahren um durchschnittlich 73 Prozent. Das ist das Ergebnis des neuen Living Planet Reports, den die Naturschutzorganisation WWF und die Zoological Society of London am Donnerstag vorgelegt haben.

    Abhängig von intakten Ökosystemen

    "Das ist einfach katastrophal", sagt Kathrin Samson vom WWF Deutschland. Nicht nur für die Tiere selbst. Gesundheit, Lebensmittelversorgung, der Zugang zu sauberem Wasser und die Stabilität der Wirtschaft seien abhängig von intakten Ökosystemen und gesunden Wildtierbeständen, mahnt sie.

    Was wir für ein gutes und sicheres Leben benötigen, steht durch unsere Lebensweise auf dem Spiel.

    Kathrin Samson, WWF Deutschland

    Den stärksten Rückgang verzeichnen laut Bericht die Ökosysteme im Süßwasser mit 85 Prozent, gefolgt von denen an Land (69 Prozent) und im Meer (56 Prozent). Dort gehört zum Beispiel der Atlantische Kabeljau zu den großen Verlierern. Sein Bestand brach zwischen 2000 und 2023 um 77 Prozent ein.

    Der Living Planet Report der Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF) zusammen mit der der Zoological Society of London erscheint alle zwei Jahre, 2024 bereits zum 15. Mal. Anhand von Daten über fast 35.000 Wirbeltier-Populationen aus 5.495 Arten zeigt der Report, wie sich Bestände weltweit im Durchschnitt entwickeln. Das Minus von 73 Prozent spiegelt die proportionale Veränderung über einen längeren Zeitraum wider – nicht die Anzahl der verlorenen Einzeltiere oder die Anzahl ausgestorbener Arten.

    Lateinamerika besonders betroffen

    "Das liegt viel an Überfischung", sagt WWF-Ökologe Dr. Arnulf Köhncke. "Und leider geht die Fischerei oft mit Grundschleppnetzen ans Werk und das beschädigt dann insgesamt die Ökosysteme des Meeresbodens."
    Vom Artenschwund sind Lateinamerika und die Karibik (95 Prozent) sowie Afrika (76 Prozent) am stärksten betroffen. In Europa liegt der Rückgang bei "nur" 35 Prozent, allerdings auch deshalb, weil ein großer Teil der Artenvielfalt schon vor Jahrzehnten verloren gegangen sei.
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    Lebensraumverlust als Haupttreiber

    Hier, aber auch anderswo sind die "größten Treiber" die Zerstörung von Lebensraum und die Übernutzung, aber auch Umweltverschmutzung und Klimawandel spielen zunehmend eine Rolle. "Wir wissen, dass der Grund für das Artensterben immer vorrangig menschliches Handeln ist", sagt Kathrin Samson.

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    Mit Biodiversität (auch biologische Vielfalt) ist die Vielfalt aller lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme gemeint. Auch wenn Artenvielfalt fälschlicherweise manchmal als Synonym verwendet wird, beschreibt der Begriff nur einen Teil der Biodiversität. Auch die Vielfalt innerhalb einzelner Arten und etwa die Vielfalt von Biotopen und Ökosysteme gehören dazu. Forschende - und auch der WWF - weisen immer wieder darauf hin, dass der Blick auf den Artenschutz allein nicht ausreicht. Noch wichtiger sei es, das Funktionieren zusammenhängender Systeme zu erhalten.

    Immerhin: Es gibt im Report auch positive Beispiele. Der Wisent in Europa ist eines davon. Köhncke: "1927 war das Tier in freier Wildbahn ausgestorben. Jetzt, bald 100 Jahre später, haben wir wieder fast 7000 Tiere in der Natur." Ohne Artenschutzmaßnahmen wäre das nicht passiert. Das gilt auch für den Eurasischen Biber, der ebenfalls als fast ausgerottet galt. Seit er nicht mehr gejagt wird und in Naturschutzgebieten Unterschlupf findet, erholen sich seine Bestände. Das zeige:

    Noch können wir das Ruder herumreißen und den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten.

    Kathrin Samson, WWF Deutschland

    Höheres Ambitionsniveau gefordert

    Dafür aber müsse der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft schneller gehen, fordert Kathrin Samson. Denn die positiven Auswirkungen, die manche Maßnahmen oder auch globalen Abkommen hätten, reichten nicht. "Hier braucht es noch ein wesentlich höheres Ambitionsniveau."
    Sie sagt das auch mit Blick auf die UN-Biodiversitätskonferenz, die am 21. Oktober in Kolumbien beginnt. Vor fast zwei Jahren fiel in Montreal der Hammer für ein globales Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt. Es gilt als Meilenstein. Unter anderem sollen 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Wie das umgesetzt und vor allem finanziert werden soll, sind die Kernthemen in Kolumbien.
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    Report als "Frühwarnsystem"

    Den Living Planet Report sehen die Autorinnen und Autoren als "globalen Gesundheitscheck der Natur" und als Frühwarnsystem. Und sie sind damit nicht allein. Ende September hat ein "Faktencheck" von mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ergeben, dass es auch in Deutschland gar nicht gut um die die biologische Vielfalt steht. Die Forscher untersuchten 93 Lebensraumtypen - 60 Prozent davon waren in unzureichendem oder schlechtem Zustand.
    Am schlimmsten steht es demnach um ehemals artenreiche Äcker und Grünland, Moore, Moorwälder, Sümpfe und Quellen. Die Hauptursachen: Auch hier der Verlust an Lebensraum und die Intensivierung der Landwirtschaft.
    Finnland ist das Land der Seen und Moore. Nirgendwo sonst in Europa gibt es davon eine so große Fläche.
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    Allerdings gebe es auch in Deutschland positive Entwicklungen, nämlich überall da, wo an Gewässern, in Wäldern oder Agrarlandschaften wieder mehr Natur zugelassen werde.
    Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion

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    Quelle: ZDF

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