Immer mehr fehlt es Tieren und Algen an feste Strukturen und Lebensraum. In manchen Küstenregionen bringen Wissenschaftler deshalb 3D gedruckte Riffe aus.
Quelle: dpa
Der Mensch baut schon lange nicht mehr nur an Land, sondern auch im Wasser: Hafenbecken, Dämme oder Pontons, also schwimmende Plattformen, ermöglichen den globalen Handel per Schiff oder schützen unsere Küsten. Doch was für den Menschen nützlich ist, berücksichtigt oft die Tierwelt und ihre Bedürfnisse nicht mit. Ein Projekt in Australien will das ändern.
Die meist glatten Betonplatten, die im Meeresbau verwendet werden, besitzen wenig Struktur und bieten Tieren und Algen kaum Halt, um sich auf ihnen anzusiedeln.
Solche sogenannten Hartsubstrate, also Untergründe, auf denen sich verschiedene Arten ansiedeln können, fehlen auch an manchen weniger bebauten Küsten. Ein Beispiel: die deutsche Ostseeküste. Hier lagen früher Findlinge, Steine aus der Eiszeit, bevor sie zum Küstenschutz entfernt wurden und nun als Wohnraum für die
Tier- und Pflanzenwelt fehlen.
Obwohl ein paar Tiere es geschafft haben, sich an die Sedimente anzupassen, brauchen die meisten jedoch einen festen Untergrund, erklärt Dr. Mark Lenz vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Es könne deshalb sinnvoll sein, zusätzlich künstliche Substrate auszubringen, sagt Lenz weiter.
Künstliche Korallenriffe für Tiere und Pflanzen
Bereits seit den Neunzigerjahren gibt es verschiedene Konstrukte, die unter Wasser installiert werden können. Oft werden beispielsweise sogenannte "reef balls" genutzt: also kugelförmige Betonstrukturen, die innen hohl sind und in ihren Wänden große Öffnungen haben, um marinen Lebewesen ein Zuhause zu bieten.
Mit neuer Technik und 3D-Verfahren haben australische Forscher diese Grundidee nun noch weiterentwickelt. Entstanden sind die "living seawalls", lebendige Meereswände. Diese modulartigen Betonpaneele sind im Vergleich zu den Kugelkonstrukten aus den Neunzigern deutlich detaillierter strukturiert. So sind sie für noch mehr verschiedene Arten ein attraktiver Lebensraum. Denn unterschiedliche Tiere und Algen mögen unterschiedliche Untergründe und Lichtverhältnisse.
Immer schneller und stärker erwärmen sich die Weltmeere. Das führt zur gefürchteten Korallenbleiche, die in diesem Jahr schon früh eingetreten ist. In der Folge sterben die Riffe.
"Rockpool", "Swim-through" oder "Honeycomb"
Aus diesem Grund haben die australischen Forscher zehn unterschiedliche Designs entwickelt, die verschiedene natürliche Habitate und deren Charakteristika nachbilden. Sie nennen sich etwa "Rockpool" (Steinbecken), "Swim-through" (durch Schwimmen) oder "Honeycomb" (Bienenwabe).
Je nach Beschaffenheit erfüllen sie andere Funktionen und eignen sich besonders gut für bestimmte Arten. Zum Beispiel besteht das "Honeycomb"-Design aus kleinen Waben, die kleineren Tieren Schutz vor Raubfischen oder beispielsweise auch einem Ostsee-Schwamm ein neues Zuhause bieten könnten.
Mehr als 1.000 Paneele haben die Forscher mittlerweile verbaut. die ersten im Jahr 2018 an verschiedenen Orten in Australien, 2019 folgten der Hafen von Gibraltar und 2020 Wales und Singapur.
Auch in einigen Teilen der Ostsee könne es sinnvoll sein, solche Paneele einzusetzen, so Lenz. An der Kieler Förde habe man bereits solche künstlichen Substrate installiert, als Ausgleichsmaßnahme, wenn etwas im marinen Bereich gebaut wurde.
Künstliche Riffe nicht überall sinnvoll
Obwohl vorteilhaft sei, der Unterwasserwelt mehr Substrate bereitzustellen, müsse man dennoch vor Ort entscheiden, ob es konkret notwendig und umweltverträglich umsetzbar ist. Mancherorts könne man das Geld sinnvoller einsetzen.
An den Orten, an denen die Seawalls bereits installiert wurden, sollen sich jedenfalls erste Veränderungen abgezeichnet haben. Auf ihrer Website geben die Forscher an, dass die Artenvielfalt dort nach ein bis zwei Jahren um 36 Prozent gestiegen sei.
Ozeanforscher Lenz zählt weitere Vorteile auf: "Künstliche Riffe fördern auch die Selbstreinigung des Meeres. Auf ihnen können mehr Muscheln und Algen sitzen, die CO2 und Schwebstoffe entfernen. Das kann die Wasserqualität verbessern."
So könne man stadtnahe Meeresgebiete aufwerten und die Menschen gleichzeitig für das Meer interessieren.
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