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Weltbiodiversitätsrat warnt:Milliardenschäden durch invasive Arten
von Mark Hugo
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Invasive Tiere und Pflanzen breiten sich aus und werden zunehmend zum Problem für Natur und Mensch. Der Weltbiodiversitätsrat fordert die Regierungen dringend zum Handeln auf.
Es gibt kein gut und böse in der Natur. Vielleicht auch deshalb merkt man ihnen erstmal nicht an, was invasive Arten da anrichten: Pflanzen wie das drüsige Springkraut oder der Götterbaum sind schön anzusehen. Das gilt auch für Nutria oder Waschbären. Trotzdem: Invasive Arten zählt der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) zu den Top-5-Ursachen für den dramatischen Rückgang an Artenvielfalt auf der Welt.
"Das beinhaltet das Auslöschen von Arten lokal und weltweit. Und auch der Mensch ist bedroht", sagt Prof. Helen Roy vom IPBES. Bei 16 Prozent aller weltweit ausgestorbenen Arten waren laut dem jetzt vom Biodiversitätsrat vorgelegten Bericht allein invasive Arten ausschlaggebend. Bei 60 Prozent gehörten sie zu den Hauptursachen.
Mark Hugo von der ZDF-Umweltredaktion erläutert die Bedrohung durch eingeschleppte Arten.04.09.2023 | 7:01 min
Absichtlich oder versehentlich eingeschleppt
Mindestens 37.000 Arten wurden bisher weltweit in fremde Regionen absichtlich oder versehentlich eingeschleppt. Aber: Nicht alle sind dabei invasiv, breiten sich also ungehemmt aus und richten Schaden an. Die meisten verschwinden irgendwann wieder, andere fügen sich quasi geräuschlos ein, manche sind sogar nützlich.
Gerade mal zehn Prozent der etablierten gebietsfremden Arten sind invasiv. Der IPBES geht weltweit von mindestens 3.500 aus. Etwa 100 werden in Deutschland gelistet, erklärt Biologe Dr. Stefan Nehring vom Bundesamt für Naturschutz (BfN). Die aber können einiges anrichten.
TerraX erklärt: Was sind invasive Arten?13.12.2023 | 8:39 min
Kein einziger Fressfeind
"Die finden hier vom Klima beste Voraussetzungen, haben oft gar keine Feinde, weil diese ihrem Ursprungsgebieten zurückgeblieben sind". Beispiel: Der bis zu ein Kilo schwere Ochsenfrosch, der einst als Spezialität in Restaurants und als Exot im Gartenteich eingeführt wurde. In Nordamerika wird er von Raubvögeln oder Wasserschlangen gefressen. Hier von keinem einzigen Tier.
Keine Fressfeinde hat auch die ebenfalls aus Amerika stammende Spätblühende Traubenkirsche, weil heimischen Tieren die Blätter nicht schmecken. So breitet sie sich die ehemals beliebte Zierpflanze aus und drängt zum Beispiel in Naturschutzgebieten in Baden-Württemberg heimische Arten zurück und droht, ganze Ökosysteme zu vernichten.
Krebspest mitgebracht
Zum Problem können invasive Arten auch für die Gesundheit anderer Arten werden. Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs etwa hat die "Krebspest" mitgebracht. Sie selbst ist dagegen immun, nicht aber der Europäische Edelkrebs, der mittlerweile vom Aussterben bedroht ist.
Quelle: IISD/ENB/A. Rodopoulou
Der Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) ist eine zwischenstaatliche Plattform zur wissenschaftlichen Politikberatung für die Themen biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen. Derzeit sind 143 Regierungen im IPBES vertreten. Seinen Sitz hat er auf dem UN-Campus in Bonn. Mehrere Tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tragen ehrenamtlich zur Arbeit des IPBES bei.
Der IPBES-Bericht zu invasiven Arten (IPBES Invasive Alien Species Assessment Report) soll einen Überblick über den weltweiten Stand der Forschung zum Thema geben. Er stellt Entwicklungen dar und zeigt den Regierungen Handlungsoptionen. Erstellt wurde er von 86 führenden Expertinnen und Experten aus 49 Ländern. Die Vertreterinnen und Vertreter der IPBES-Mitgliedsstaaten haben den Report im Anschluss bestätigt.
Für Menschen ist die Krebspest keine Gefahr. Das gilt aber nicht für Krankheiten wie das Dengue-Fieber oder Zika, die die Asiatische Tigermücke übertragen kann. Sie ist mit alten Reifen per Schiff nach Italien "importiert" worden. Die Mücke sticht viel häufiger als heimische Arten und mag die immer wärmer werdenden Temperaturen in Europa.
In seinem Bericht beziffert der IPBES den weltweiten Schaden allein im Jahr 2019 auf mindestens 423 Milliarden US-Dollar. In jedem Jahrzehnt seit 1970 habe sich der Betrag vervierfacht. Kosten entstehen durch die Bekämpfung, aber auch, wenn etwa die Bestäubung von Nutzpflanzen ausbleibt oder Fische verdrängt werden oder aussterben.
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Kaum Gesetze gegen invasive Arten
Der IPBES kritisiert, dass die wenigsten Länder der Welt das Problem bisher ernst genug nehmen. Und oft auch zu wenig darüber wüssten. Nur 17 Prozent hätten überhaupt so etwas wie Gesetze oder Regularien zum Eindämmen invasiver Arten. "Früher hat man solche Invasionen einfach nur mit einem interessierten Auge angeschaut", sagt auch Nehring.
Inzwischen sei das Problem in Deutschland und der EU immerhin erkannt und invasive Arten werden bekämpft. Das ist mühselig und dämmt die Ausbreitung häufig bestenfalls nur ein. Die Wurzeln der Traubenkirsche etwa müssen mit der Hacke aus dem Boden geholt werden. Nutria oder Ochsenfrosch werden bejagt - mit mäßigem Erfolg.
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Für viele Tiere und Pflanzen gibt es daher seit ein paar Jahren Besitz- und Vermarktungsverbote. Und ein Monitoring, um neue Arten frühzeitig zu erkennen.
Möglichst nur heimische Arten
Aber auch jeder einzelne kann helfen, sagt Nehring, etwa indem er darauf achtet, im Garten möglichst nur heimische Arten anzupflanzen. "Dazu gehört auch, dass man nicht dieser Unsitte folgt, einfach seinen ganzen Grünschnitt irgendwo draußen in die freie Natur zu bringen."
Denn dass das Problem von alleine verschwindet, schließen die Expertinnen und Experten des IPBES aus. Im Gegenteil. Durch zunehmenden Handel und Reisen könnte es sich noch deutlich verschlimmern. "Die Bedrohung durch invasive Arten in der Zukunft ist eine unserer größten Sorgen", sagt Roy. Die gute Nachricht dabei sei aber, dass es effiziente Strategien und Möglichkeiten gegen invasive Arten gebe. Die Länder der Welt müssten sie nun aber auch anwenden.
Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion.
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