Es ist sein letztes Vermächtnis. Mit Hilfe seiner Frau Julija hat Alexej Nawalny seine Autobiografie geschrieben, die heute weltweit erscheint. Ein Blick ins Buch "Patriot".
Julia Nawalnaja sieht in der Autobiografie „Patriot“ eine Art Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes Alexej Nawalny, des über viele Jahre wichtigsten Oppositionellen in Russland. 22.10.2024 | 2:32 min
Ein Spaziergang durch das Straflager im eisigen Norden Russlands. Als Alexej Nawalny und Julija Nawalnaja möglichst weit entfernt von Kameras und Mikrophonen stehen, flüstert der prominente Häftling seiner Frau ins Ohr:
"Hör zu, ich möchte nicht dramatisch klingen, aber ich glaube, es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Selbst wenn alles zusammenzubrechen beginnt, werden sie mich umlegen, beim ersten Zeichen, dass das Regime kollabiert."
Sie werden mich vergiften.
„
Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker in Russland
"Ich weiß", sagt Nawalnaja nickend, mit ruhiger und fester Stimme.
Dass sich diese Szene so zugetragen haben könnte, wissen wir von Aufzeichnungen aus Nawalnys Tagebüchern und Briefen, die in die posthume Autobiografie "Patriot" einflossen. Das Buch, das heute im US-Verlag Knopf erscheint, lag ZDFheute vorab vor. In Deutschland erscheint das Buch im S. Fischer Verlag.
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Am 16. Februar meldet Straflager Tod von Nawalny
Als eine Art Vermächtnis ihres Mannes sieht Julia Nawalnaja das Buch. Die 48-Jährige hat es mit vielen Fotos der Familie selbst nach seinem Tod fertiggestellt.
Sie habe immer wieder lachen und weinen müssen, als sie seine begonnene Arbeit an der Autobiografie beendete, sagt Nawalnaja in einem Clip bei Instagram.
Nawalnys Familie in der Charité
Alexej und seine Familie in der Charité im Jahr 2020, unmittelbar nach dem Erwachen aus dem Koma, das durch die Vergiftung mit Nowitschok ausgelöst worden war.
Quelle: Alexej Nawalny
19 Jahre lang hätte Nawalny wegen immer neuer Verurteilungen im Straflager "Polarwolf" bleiben sollen. Es wurden nur drei. Am 16. Februar 2024 meldete die Leitung den plötzlichen Tod des Häftlings.
Auch wenn die Ursache bis heute nicht unabhängig untersucht wurde, deutet vieles darauf hin, dass Nawalny vergiftet worden ist.
Matthew Murray von der Columbia Universität in New York stellt gegenüber ZDFheute fest:
Alexejs Briefe aus dem Gefängnis glänzen durch Idealismus und Zivilcourage angesichts der grausamen Tradition Russlands, seine besten Leute zu zerstören und umzubringen.
„
Matthew Murray, Columbia Universität New York
Murray beschäftigt sich seit Jahren mit Menschenrechten und dem Fall Nawalny. Die Autobiografie sei eine starke Erinnerung daran, dass "Putins Autokratie", wie Nawalny Russlands Regime beschrieb, "unverwüstlich ist und weiter bestehen wird, solange die Russen keine kollektive Verantwortung für ihre Freiheit und Zukunft übernehmen".
Sky: Titel "Patriot" kein Zufall
Nawalny arbeitete nach seinem Abschluss der Rechtswissenschaften als Anwalt und verbrachte dank eines Stipendiums einige Zeit in den USA an der Eliteuniversität Yale. Die Schirmherrin des Programms, Emma Sky, betont im Gespräch mit ZDFheute:
Nawalny folgte seinem moralischen Kompass.
„
Emma Sky, Yale-Universität
Er widersetzte sich einer Diktatur und bezahlte dafür letztlich mit seinem Leben." Es sei daher kein Zufall, dass "Alexejs Memoiren den Titel 'Patriot' tragen".
Sky erinnert sich: "Vor zwei Jahren, bei der 20. Wiedervereinigung der Yale World Fellows, hielten wir für Alexej - damals im Gefängnis - einen Platz in der ersten Reihe frei. Er wird diesen Platz nicht mehr einnehmen können, aber es bleibt ein Platz für all diejenigen auf der ganzen Welt, die seinen Weg weitergehen."
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Warum kehrte Nawalny nach Russland zurück?
Auf etwa 500 Seiten lesen sich in "Patriot" bewegende Beschreibungen seiner Kindheit und seinem Weg zum wohl wichtigsten Oppositionellen seines Landes. Besonders eindringlich schildert Nawalny seinen Kampf gegen Hunger, Kälte und Schikanen in Haft, den er schließlich verlor.
Bereits im März 2022 schrieb er in sein Tagebuch: "Ich werde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen und hier sterben. Es wird niemand zum Verabschieden da sein." Worte, die Nawalny aus dem Straflager heraus, an die Nachwelt richtete.
Für "Patriot" entwarf Julija Nawalnaja eine eigene Website mit Fotos von ausgewählten Briefen und Tagebucheinträgen.
Quelle: patriot.navalny.com
Über allem schwebt die Frage, warum er nach seiner fast tödlichen Vergiftung im Jahr 2020 nach Russland zurückkehrte. Zu diesem Zeitpunkt begann er mit dem Schreiben von "Patriot".
Entgegen vieler Vermutungen, Nawalny sei aufgrund eines Deals nach Russland zurückgekehrt, sei es in Wahrheit ganz einfach, notiert er am 17. Januar 2023: "Ich will mein Land nicht aufgeben oder es je verraten. Wenn dir deine Überzeugungen etwas bedeuten, musst du bereit sein, für sie einzustehen und, falls nötig, Opfer zu bringen."
Quelle: dpa
Alexej Nawalny wurde am 4. Juni 1976 in Butyn, Russland, geboren. Am 16. Februar 2024 verstarb Nawalny plötzlich in Haft.
Er war ein prominenter Oppositionspolitiker, Rechtsanwalt und Anti-Korruptionsaktivist. Nawalny erlangte internationale Bekanntheit durch seine investigativen Recherchen zu Korruption im russischen Regierungssystem, die er über soziale Medien und seinen YouTube-Kanal verbreitete.
Seine Aktivitäten zogen nicht nur die Aufmerksamkeit der russischen Bürger auf sich, sondern auch die der internationalen Gemeinschaft.
Nawalny behält sich trotz Folter seinen Humor
Was trotz Isolationshaft, Folter und Krankheit fortwährend durch die Zeilen schimmert, ist Nawalnys ungebrochener Humor. Falls sie ihn erledigen sollten, schreibt Nawalny in der Haft, erhalte seine Familie "den Vorschuss und die Tantiemen".
Mal ehrlich, wenn ein hinterhältiger Mordanschlag mit einer chemischen Waffe, gefolgt von einem tragischen Abgang im Gefängnis nicht ein Buch pushen kann, wüsste ich nicht, was sonst.
„
Alexej Nawalny in "Patriot"
Katharina Schuster ist Reporterin im ZDF-Studio in Washington D.C.
Quelle: dpa
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